Rezension

Eine Autorin mit Suchtfaktor

Die Oleanderfrauen - Teresa Simon

Die Oleanderfrauen
von Teresa Simon

Bewertet mit 5 Sternen

Jule Weisbach hat sich mit dem kleinen Café Strandperlchen einen Traum erfüllt. Sie liebt es, dort als Barista zu arbeiten und ihren Kunden selbst gebackenen Kuchen anzubieten. Nebenbei hat sie sich ein zweites Standbein geschaffen, indem sie anderen Menschen bei der Aufarbeitung ihrer Familiengeschichten hilfreich unter die Arme greift.
Sie freundet sich mit Johanna, einer älteren Dame an, die beim Ausräumen des Hauses ihrer Mutter ein Tagebuch gefunden hat, das viele Rätsel aufgibt.
Das Tagebuch und weitere gefundene Briefe führen ins Deutschland der dreiziger und vierziger Jahre des letzten Jhs. 
Sie erzählen die Geschichte von Sophie und Hannes und einer Liebe, der unglaublich viele Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Das alles in einer Zeit, in der sich Deutschland zu einem wahren Albtraum entwickelte.

Jule lebt in Hamburg, wo sie sich den Traum vom eigenen Café erfüllt hat. Sie will es ihrer Mutter beweisen, sagt diese doch immer über ihre Tochter "Jule ohne Plan". Sie ist glücklich und scheint es geschafft zu haben, als ihr eine saftige Mieterhöhung ins Haus flattert. Es sieht nach einem absehbaren Ende für ihr Café aus, denn diese Summe könnte sie vielleicht später aufbringen, jetzt jedoch noch nicht.
Neben ihrer Arbeit in dem Café betreibt sie Recherchen für Menschen, die ihre Familiengeschichte erkunden wollen und schreibt diese als Buch nieder. Sie bekommt viele Anfragen und es macht ihr riesigen Spaß, in die Geschichten der Familien einzutauchen und das mit großem Erfolg.

Mit dem Kennenlernen der älteren Johanna wird sie nicht nur eine neue Freundin gewinnen, sondern auch gemeinsam mit ihr in eine Zeit eintauchen, die in die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte reichen.
Johanna fand beim Durchsehen ihrer Mutter ein altes Tagebuch und Briefe, die von einer Sophie Terhoven geschrieben wurden. Sie beginnt die Unterlagen zu lesen und ist ergriffen von der Geschichte, die sie darin findet. 
Wie aber kam das Tagebuch auf den Dachboden und wer war Sophie Terhoven? Sie bittet Jule, ihr zu helfen, die fehlenden Puzzleteile zu finden und aneinanderzureihen.

Sophie Terhoven und ihr Bruder Lennie sind die Kinder wohlhabender Eltern, die ihr Geld mit dem Import von Kaffee verdienen. Die 17-jährige Sophie ist von Kindheitstagen an mit Hannes, dem Sohn der Köchin, befreundet. Als aus der Freundschaft mehr wird, stoßen sie auf erbitterter Widerstand. 
Nur Malte, engster Vertrauter von Sophie, weiß Bescheid und versucht ihnen zu helfen.
Es ist das Jahr 1936, die Nazis machen sich in Deutschland breit und gewinnen an Macht. 
Körperliche Gebrechen sind nicht gewünscht in dem neuen, rein arischem, Deutschland und Schwule haben einen mehr als schweren Stand. Beides trifft auf Malte zu.
Der 12-jährige Lennie ist begeistert vom neuen kommenden Deutschland, gibt es ihm doch schon in jungen Jahren die Gelegenheit, Macht zu demonstrieren und seine Schwester zu bespitzeln...

Eine wundervolle und ergreifende Geschichte, die die Autorin Teresa Simon hier vorgelegt hat. Sie spielt auf 2 Zeitebenen, zum einen in der Vergangenheit der dreiziger und vierziger Jahre des vergangenen Jhs. in Deutschland, zum anderen in der Gegenwart.
Sie nimmt den Leser mit auf die Reise, die in die Jahre 1936 bis 1943 führt. Das "reinrassige" Deutschland ist dort genauso zum Thema gemacht worden wie die Jagd auf Juden und Schwule. Die Unterschiede zwischen arm und reich sind gravierend und die Klassenunterschiede deutlich spürbar. Sie nimmt wichtige Ereignisse der Zeit mit in die Geschichte auf, wie den spanischen Widerstandskampf und die Olympischen Spiele in Berlin. 
Für den Leser ist es eine Reise in die Geschichte Deutschlands, Geschichtsauffrischung so ganz nebenbei.

Die Protagonisten Sophie, Hannes und Malte aus der Vergangenheit wie auch Jule und Johanna aus der Gegenwart sind sympathisch. Sie sind glaubhaft dargestellt und man wünscht sich als Leser, diese Freunde nennen zu können. Sie haben es nicht leicht, keiner von ihnen, aber sie geben nicht auf. Egal, ob es Jule ist, die um den Erhalt ihres Cafés kämpft oder Sophie und Hannes um ihre Liebe. Sie sind Kämpfer und geben nie auf.

Auch die Nebenfiguren sind authentisch dargestellt. Hellmuth Moers, Sophies Eltern wie auch Malte beleben das Buch mit ihren Charakteren wie auch ihren Geheimnissen.
Die beiden Zeitstränge verlaufen parallel und man kann die Spannung bis zur Auflösung und der Fertigstellung des Puzzles förmlich mit den Händen greifen.

Das Buch ist sehr emotional und spannend geschrieben. Die Autorin packt den Leser gleich zu Beginn mit einem Brief, der Fragen aufwirft, die sich durch das ganze Buch ziehen. Man ist nicht in der Lage, es aus den Händen zu legen, man möchte weiterlesen und ich für meinen Teil habe es gehasst, dass ich zwischendurch schlafen musste und nicht weiterlesen konnte.
Das Buch hat mir wundervolle Stunden beschert und mich in eine Zeit zurückversetzt, die Deutschland hoffentlich nie wieder erleben wird.

Das Cover des Buches ist ein Traum. Die Gestaltung, das Motiv, die Haptik des Schriftzuges, es ist einfach alles stimmig.
Der einzige Wermutstropfen findet sich in dem Buch selbst. Bei der Schriftgestaltung der Tagebucheintragungen hatte der Verlag nicht gerade ein glückliches Händchen. Es strengt die Augen an und gestaltet das Lesen schwierig. 

Ich liebe Romane, die in zwei oder mehr Zeitebenen spielen. Von daher war das Buch schon von vornherein ein Muss für mich. Die Erwartungen waren hoch, wurden jedoch noch bei weitem übertroffen. 
Ein Buch, das ich sehr gern weiterempfehle und das nicht nur an Leser, die gern etwas über deutsche Geschichte lesen wollen. Es ist ein Buch voller Liebe,  Vertrauen, Glauben und Hoffnung, aber auch eines über die schlimmsten Dinge wie Hass, Verrat, Vernichtung, Macht und Gier.
Ich spreche eine klare Kauf- und Leseempfehlung aus.