Rezension

Eine berührende Geschichte

Die Tage, die ich dir verspreche - Lily Oliver

Die Tage, die ich dir verspreche
von Lily Oliver

Bewertet mit 5 Sternen

Gwen gehört zu den wenigen glücklichen Menschen, für die es ein Spenderherz gibt. Die Transplantation verläuft ohne Probleme und sie müsste eigentlich glücklich sein, wieder Dinge tun zu können, die schon lange nicht mehr für sie machbar waren. 
Aber sie ist es nicht. Selbst nach einer Reha, die länger als gewöhnlich war, geht sie nicht freudig und motiviert nach Hause.
Sie hat Schuldgefühle, fühlt sich dem unfreiwilligen Spender gegenüber schuldig, denn nur durch seinen Tod kam sie an sein Herz.
Zu Hause bei ihren Eltern geht man wieder zur Tagesordnung über, ihre Eltern vereinnahmen sie, ihr Bruder reißt sie mit sich, um mit ihm Sport zu treiben. Niemand fragt, was sie eigentlich will und wie sie sich fühlt.

Sie ist an dem Punkt angelangt, wo es ihr so schlecht geht, dass sie nicht mehr weitermachen will. Sie hat sich vorgenommen, ihr Herz zu verschenken an jemanden, der damit glücklich sein wird.
Sie schreibt dies in ein Forum, das sich auf Herztransplantationen spezialisiert hat und deren Betreiber Noah ist. 
Noah hält sie für einen Troll, ein Fake, und löscht ihren Post umgehend. Sie versteht das nicht und schreibt ihn per Mail an. Darauf antwortet er ihr, dass er den Post gelöscht hat, weil er das Herz für sich will. Was er als Witz geschrieben hat, fällt bei Gwen auf fruchtbaren Boden.
Als sie das Gefühl hat, dass er Hilfe braucht, fährt sie kurzentschlossen von Berlin nach München, in der Hoffnung, dass es für den herzkranken Noah nicht zu spät sein möge. Sie will ihm ihr Herz geben und setzt alles daran, dass es auch dazu kommt.
Noah sieht, wie todernst es Gwen ist und macht sich zur Aufgabe, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Das aber geht nicht ohne Lügen, in die er sich immer mehr verstrickt...

Wow, was für ein Buch. Ein Buch, das einen nachhaltig beschäftigt, bewegt und zum Nachdenken anregt.
Depressionen und Herztransplantationen bzw. Transplantationen allgemein sind hier in eine Liebesgeschichte gepackt, die noch eine Weile nachklingt. Diese Lektüre steckt man nicht eben so weg und greift sich das nächste Buch, diese hier muss man erst mal sacken lassen. So zumindest empfinde ich das.

Es ist eine komplizierte Geschichte. 
Gwen will ihr Herz weggeben, weil sie mit den Emotionen und Depressionen, die sie befallen, nicht klar kommt. Die Schuldgefühle fressen sie auf, nachts stehen die Toten bei ihr Schlange und wenn nicht die Toten selbst, dann im Traum die Angehörigen der Toten. Sie kann nicht abschalten, ständig hat sie das Gefühl, Stimmen zu hören. In Noah scheint sie die Person gefunden zu haben, dem sie ihr Herz geben will. 
Noah, der Betreiber der Herz-Community erkennt sehr schnell, wie ernst es Gwen damit ist. Er will ihr helfen, kann das aber nicht ohne zu lügen. Auch hat er versprochen, niemandem von ihrer Verzweiflung zu erzählen und doch holt er sich bei einem befreundeten Psychologen heimlich Rat, was er machen soll und wie er ihr helfen kann. Ständig lebt er in der Angst, dass sie sich etwas antun wird.
Sie verspricht ihm, 14 Tage nichts zu unternehmen.

Der Autorin Lily Oliver gelingt es hervorragend, die Ängste und Nöte, die Gwen befallen, dem Leser nahezubringen. Man fühlt mit ihr mit, es ist selbst für den Leser, der sich mit dieser Materie noch nie beschäftigt hat, wirklichkeitsnah und real. Man kann sich gut in Gwen hineinversetzen und das ist schon beängstigend.
Man fühlt sich aber auch zu Noah hingezogen, zu erleben, wie er alles versucht, um Gwen auf andere Gedanken zu bringen. Man spürt seine Hilflosigkeit und möchte die beiden beschützen.
Später, wo es Missverständnisse ohne Ende gibt, möchte man jedoch beide nehmen und sie schütteln, bis sie wieder klar denken und sie dazu animieren, doch endlich den Mund aufzumachen und miteinander zu reden. Sie reden zwar viel miteinander, aber das wirklich wichtige trauen sich beide nicht zu offenbaren.

Ein ausgesprochen berührender Roman. 
Ein Roman, der deutlich aufzeigt, dass mit dem Finden eines Spenderorgans und einer erfolgreichen Transplantation noch lange nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt sind. Das betrifft nicht nur den Organempfänger sondern auch seine Umgebung, Eltern und Familie.
Es ist eine lebensbejahendes Buch, das ich sehr gern weiterempfehle.