Rezension

Eine besondere Frau

Die Zeit des Lichts - Whitney Scharer

Die Zeit des Lichts
von Whitney Scharer

Bewertet mit 5 Sternen

1929. Mit Anfang 20 lernt die Engländerin Lee Miller den amerikanischen Fotografen Man Ray kennen und taucht tief in die Szene der dort lebenden surrealistischen Künstler ein. Lee, die von ihrem Vater das Fotografieren gelernt hat und selbst großes Talent besitzt, gibt so lange nicht auf, bis Man Ray sie als seine Assistentin einstellt. Sie werden ein grandioses Duo aus Künstler und Muse - nach und nach beginnen aber auch Lees Ideen, das Schaffen von Man zu beeinflussen. Immer tiefer werden beide in einen Strudel der Abhängigkeit voneinander gezogen: Lee kann ohne Man ihren Lebensunterhalt in Paris nicht bestreiten und er kann keine Kunst erschaffen, wenn Lee einmal längere Zeit nicht bei ihm ist. Und so steuert die große Liebe der beiden kontinuierlich auf eine Katastrophe zu - denn Lee ist keine Frau, die sich einsperren lässt.

Whitney Scharer ist es mit "Die Zeit des Lichts" gelungen, die Atmosphäre der 20er und 30er Jahre in Paris einzufangen - mit all den Charakterköpfen, zu denen beispielsweise auch Dalí gehörte, den ausschweifenden Parties und dem teilweise sehr harten Künstlerleben. Lee Miller arbeitet zunächst als Model, bis ihr das Posen vor der Kamera nicht mehr genügt und sie selbst die Zügel in die Hand nehmen will. Dabei bleibt sie stets eine sehr zwiespältige Protagonistin: auf der einen Seite ist ihr Mut und ihre Durchsetzungskraft bewunderswert, vor allem im Lichte dessen, was man im Verlauf der Handlung über ihre Kindheit erfährt. Auf der anderen Seite bleibt sie stets unnahbar, wirkt spröde und arrogant. Als ihr Modelkollege Horst ihr einmal vorwirft, sie würde sich nicht für ihn interessieren, muss man als Leser leider zustimmen. Lee Miller interessiert sich nur für sich selbst.

Die Handlung wird auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt, beginnend an einem Punkt, an dem Lee Miller bereits mit ihrem Ehemann Roland Penrose wieder in England auf dem Land lebt und sich langweilt. Von dort aus scheint die Geschichte durch Lees gesamtes Leben zu springen. Zu der Zeit mit Man Ray in Paris, aber auch zu der Phase ihres Schaffens, als sie genug von der schicken Künstlerszene hat und als Kriegsfotografin die Schrecken des zweiten Weltkrieges dokumentiert. Hier lernen wir eine andere Lee Miller kennen. Eine, die bedächtiger geworden ist, die am Leben anderer Anteil nimmt, die aber auch einen unbändigen Hass auf die Deutschen in sich trägt. Die Bilder der Konzentrationslager, der vielen Leichen, der Kriegsverletzungen werden sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen.

Whitney Scharers Roman ist keine detailgenaue Biografie, gewisse Freiheiten, so gibt sie selbst zu, die hat sie sich gelassen. Dennoch ergibt sich am Ende ein stimmiges Bild einer interessanten Frau, über die man unbedingt mehr wissen möchte. Sollte ich doch etwas kritisieren, so hätte die beinahe obszessive Beziehung zu Man Ray etwas weniger und die Fotografie etwas mehr Raum einnehmen dürfen. Die Autorin jedoch hat für sich diesen Fokus gewählt und auch mit ihm ist ihr ein fesselndes, lebendiges Porträt gelungen.