Rezension

Eine besondere Liebesgeschichte

Das Rosie-Projekt (Hörbestseller) - Graeme Simsion

Das Rosie-Projekt (Hörbestseller)
von Graeme Simsion

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kommen wir zuerst zum Inhalt: Graeme Simsion erzählt hier von Don, einem Mann, der sehr rational ist. Aber nicht, weil er sich dafür entschieden hat, seine emotionale Seite zu verschließen. Er sagt von sich, dass ihn zwischenmenschliche Kommunikation anstrengt, da er diese häufig nicht versteht. Da setzt sich Don ein scheinbar unmögliches Vorhaben: Er möchte heiraten. Und damit auch nichts schief geht, entwickelt Don einen Fragebogen mit dessen Hilfe er schon die Traumehefrau finden wird, oder?

Und hier kommen wir schon zum ersten Irrtum, dem ich hier auferlegen bin: Ich bin davon ausgegangen, dass das Hörbuch den Titel Das Rosie Projekt deswegen trägt, weil Don den Stereotyp seiner Ehefrau Rosie nennt, um somit sein wissenschaftliches Experiment zu kennzeichnen. Doch nach und nach stellte sich heraus, dass meine Theorie nicht stimmte.

Eines Tages taucht Rosie in Dons Büro auf. Don ahnt schon, dass sie sich wahrscheinlich als potentielle Ehefrau bewerben möchte. Doch Rosie hat ein völlig anderes Anliegen. Und Don ist der Einzige, der ihr dabei helfen kann.

Während viele Geschichten von der Handlung getragen werden und die Charaktere meist damit beschäftigt sind, auf die Handlung zu reagieren, erschaffte Grame Simsion hier einen Roman, der genau umgekehrt funktionierte: Hier bestimmten die Charaktere die Handlung. Dieses Stilmittel gefiel mir ziemlich gut und war mir anderen Romane zuvor noch nie so bewusst aufgefallen. Deswegen möchte ich euch unsere beiden Protagonisten noch etwas vorstellen:

Don ist nämlich nicht nur rational, sondern lebt auch ein durchorganisiertes Leben. Er hat nicht nur einen festen Tagesablauf, der ziemlich genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist. Das geht sogar soweit, dass er einen Speiseplan für eine ganze Woche hat und somit weiß, was er beispielsweise jeden Dienstag essen wird. Er fühlt sich in seiner Struktur wohl und sieht keinen Grund, etwa an seinem Leben zu verändern. Seine Ehefrau wird sich sicher anpassen können.

Rosie ist das pure Gegenteil: Sie kommt zu Verabredungen grundsätzlich zu spät, ist im Vergleich zu Don emotional, aber direkt und nicht überempfindlich. Was ich damit meine: Sie sagt das, was sie denkt und hält mir ihren Emotionen nicht zurück, ohne dabei aber zu dramatisieren oder nachtragend zu sein.

Als Rosie auftauchte, fragte ich mich, wie lange es die beiden wohl miteinander aushalten, ohne sich zu streiten. Ich beobachtete gespannt, wie sie miteinander agieren, da beide Protagonisten eben so grundverschieden waren.

Graeme Simsion hat den Spannungsbogen der Geschichte wirklich gut aufgebaut. Zum einen steht die Frage im Raum, wie lange es Don und Rosie miteinander aushalten. Zum anderen muss natürlich auch geklärt werde, ob Don eine Ehefrau finden wird und Rosie mit Dons Hilfe ihr Ziel erreichen kann, über das ich an dieser Stelle leider nicht mehr verraten kann.

Aufgrund Dons Rationalität und seiner Art, Situationen bis ins kleinste Detail zu analysieren, ohne dabei aber auf die Emotionen einzugehen, sondern eher Wahrscheinlichkeiten durchzugehen, wie sich Situationen entwickeln könnten, habe ich eine Weile gebraucht, um in Graeme Simsions Schreibstil reinzukommen.

Was ich aber unglaublich gut herausgearbeitet fand, war zum einen Dons Art zu denken, aber auch die Reaktionen von Dons Umfeld auf sein Verhalten zu erleben, obwohl die Geschichte aus seiner Sicht erzählt wird und er die Reaktionen kaum nachvollziehen kann. Dennoch hat es Graeme Simsion geschafft, die Reaktionen so herauszuarbeiten, dass wir als Hörer*innen begreifen, worin das Problem besteht und so die Situation als Ganzes beurteilen können.

Bevor ich zu meinem Fazit komme, darf natürlich die Gestaltung des Hörbuches nicht fehlen: Das Hörbuch wurde als gekürzte Lesung vom Argon Verlag produziert. Hierbei handelt es sich wieder um ein Hörbuch, bei dem ich wirklich gerne wüsste, wie die Kürzungen aussehen, da ich nichts an der Geschichte vermisst habe und so nicht sagen könnte, welche Teile wohl weggelassen wurden.
Robert Stadlober bringt uns Don als Charakter hier näher. Ich bin wirklich beeindruckt, dass er Dons Rationalität so gut transportieren konnte, ohne das Gefühl zu vermitteln, dass Don kalt ist.
Außerdem hat er diesen Spagat zwischen rationalem Erzähler und emotionalen Umfeld wirklich gut gemeistert.

Gesamteindruck: 
Das Rosie Projekt hat mich wirklich positiv überrascht. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass mir die Geschichte so gut gefällt.

Das Einzige, was mir negativ aufgefallen ist, war die Tatsache, dass ich den Eindruck hatte, dass Graeme Simsion Don gerne in die Schublade Asperger-Autist gesteckt hätte. Und das störte mich etwas, weil ich glaube, dass es Menschen gibt, die Mühe haben, Emotionen zu deuten, aber nicht gleichzeitig auch Autisten sein müssen. Und so wird indirekt wieder der Eindruck vermittelt, dass jeder, der aus der Norm herausfällt, gleichzeitig auch krank sein muss.