Rezension

Eine Bibliothek der Zeit - so faszinierend, wie gefährlich.

Die Sprache der Zeit - Sven Urban

Die Sprache der Zeit
von Sven Urban

Bewertet mit 3 Sternen

Interessantes Debüt von Sven Urban, aber mir blieben zu viele Dinge offen.

Inhalt:
Für den frisch geschiedenen und erfolgreichen Anwalt Oskar ist seine Arbeit das Wichtigste. Doch er hat die Rechnung ohne Hermes gemacht - einen gruseligen kalkweißen Kerl mit Zylinder, der Oskar in eine ebenso fantastische wie groteske Bibliothek entführt. Hier halten Schreiber in magischen Büchern die Zeit selbst fest. Doch zum Schicksal der Menschen gehört weitaus mehr, als nur das, was sich unserem bloßen Auge offenbart...

Ich gebe neuen Autoren und vor allem Selfpublishern immer gerne eine Chance. Und da mich das Cover und der Klappentext von Sven Urbans Debüt sehr neugierig gemacht haben, habe ich mich sehr gefreut an einer Leserunde zu diesem Buch teilnehmen zu dürfen.

Meinung:
Nach dem doch sehr geheimnisvollen Prolog, ist mir der Einstieg in die eigentliche Handlung leicht gefallen.
Sven Urban hat einen flüssigen Schreibstil, ohne Schnörkel und Verwirrspielchen. 

Der Anfang des Buches hat mich ein wenig an "Die Geister, die ich rief" oder "Click" erinnert: 
Ein ziemlich unsympathischer Protagonist und seine leidgeplagte Familie haben eine Auseinandersetzung. Woraufhin besagter Protagonist einer oder mehreren Figuren begegnet, die ihn auf den rechten Weg zurück bringen sollen.

Was Sven Urbans Geschichte einzigartig macht, ist dabei aber nicht nur Hermes, der geheimnisvolle und etwas sprunghafte "Retter in der Not". Sondern es ist vor allem die faszinierende Bibliothek, in der gnomische Schreiber in unendlich vielen Büchern die Geschichte eines jeden Menschen und somit die Zeit selbst aufschreiben.
Allerdings erleben wir nicht einfach nur einen Blick in die Vergangenheit von Oskar, sondern es werden auch mysteriöse Wesen sichtbar, die das Schicksal der Menschen mit zu beeinflussen scheinen. Wirklich ein toller Gedanke.

Leider gibt es wie so oft ein "aber".
Sven Urban lässt seinen Lesern im Laufe der Geschichte sehr viel Raum für eigenen Interpretationen und hält sich mit weitreichenden Erklärungen eher zurück. Man erfährt nicht, wer oder was Hermes ist. Nach dem Motto "show it, don't tell it" beschreibt Sven Urban Orte und Figuren zwar relativ anschaulich. Aber am Ende haben ich mir doch Hintergrundinformationen zur Bibliothek, ihren Bewohnern und den bedrohlichen Wesen aus Oskars Rückblenden gefehlt.

Diese Informationen zu finden war nach einiger Zeit nämlich auch mein Anreiz das Buch überhaupt weiter zu lesen.
Hermes eilt mit Oskar von Buch zu Buch, ohne ihm etwas über den Ort oder das Warum ihres Abenteuers zu erklären.
Und Oskar ist nicht wirklich der schlauste und liebenswerteste Protagonist. Da er bis zuletzt kaum einen Wandel in seiner Persönlichkeit zeigt, ging er mit mit der Zeit einfach nur auf den Geist. Keine Spur von schlechtem Gewissen oder Selbstreflexion, bis es quasi zu spät ist...

Fazit:
Eine gute Idee und ein wirklich toller Schreibstil für ein Debüt. Das muss man Sven Urban wirklich neidlos anerkennen. 
Ich persönlich hätte mir aber mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Daher hat mich das Buch eher unzufrieden zurück gelassen. 
Wer aber den Interpretationsspielraum den Autors nutzen mag und Geschichten à la Charles Dickens "Eine Weihnachtsgeschichte" liebt, der ist hier sicherlich gut aufgehoben.