Rezension

Eine düstere, perfekte Welt, in der nur eine Krankheit nicht besiegt wurde: Die menschliche Natur ...

Scythe 01 - Die Hüter des Todes - Neal Shusterman

Scythe 01 - Die Hüter des Todes
von Neal Shusterman

Bewertet mit 5 Sternen

Worum geht es?

Citra und Rowan leben in einer perfekten Welt: Unsterblichkeit, Wohlstand, unendliches Wissen. Sämtliche Krankheiten wurden besiegt, es gibt keine Kriege und keine Armut mehr und auch der Tod selbst wurde bezwungen. Um eine Überbevölkerung zu vermeiden, müssen Menschen aber weiterhin sterben, nur dass diese Entscheidung nicht länger von der Natur, sondern von den Menschen selbst gefällt wird, nämlich von den sogenannten Scythe. Sie entscheiden, wer nachgelesen wird. Nicht jeder ist zum Scythe berufen: Sie dürfen beim Töten keine Freude empfinden, sondern müssen Mitleid und Reue verspüren. Das Scythetum wandelt sich jedoch und immer mehr Scythe scheinen die alten Grundsätze über Bord zu werfen. Eine Zeit des Umbruchs beginnt, in der Citra und Rowan gegen ihren Willen die Ausbildung zum Scythe antreten und die Kunst des Tötens erlernen. Jedoch kann nur einer von ihnen am Ende ausgewählt werden – der andere wird von dem Gewinner nachgelesen …

Meine Meinung

Was habe ich viele Dystopien gelesen – hier hatte ich es zum ersten Mal mit einer Utopie zu tun. Ich bin hellauf begeistert, wie gut und durchdacht Neal Shusterman diese Welt entworfen hat. Einerseits möchte ich selbst gern in einer solchen Welt leben, andererseits werden einem auch die Nachteile einer solch perfekten Welt vor Augen geführt, dass man es sich vielleicht doch lieber zweimal überlegt.

»Es erinnert mich daran, dass wir trotz unserer hehren Ideale und der vielen Maßnahmen, die das Scythetum vor Korruption und Verderbtheit schützen sollen, immer wachsam bleiben müssen, weil Macht immer mit der letzten Krankheit infiziert ist, die wir nicht ausgemerzt haben: dem Virus namens menschliche Natur.« (S. 118)

Der Autor spielt eine perfekte – nicht unbedingt abwegige – Zukunft durch, in der die höchste Instanz eine künstliche Intelligenz namens Thunderhead ist, die Menschen wiederbeleben kann, für allgemeinen Wohlstand sorgt und Frieden schafft. Aber auch diese perfekte Welt hat negative Konsequenzen: Langeweile angesichts der unendlich verfügbaren Zeit, aber auch Korruption und Machtmissbrauch, da das Scythetum im Gegensatz zu allem anderen nicht dem Thunderhead, sondern nur sich selbst unterstellt ist. Und das Scythetum besteht nun mal nur aus fehlbaren Menschen …

Die Atmosphäre des Buches ist – trotz der perfekt geregelten Ordnung – erwartungsgemäß düster. Ständig werden wir mit menschlichen Abgründen konfrontiert und erleben die Handlung aus der Sicht der Scythe, denen zwar mit Respekt und oft auch nervigen Schmeicheleien, aber vor allem mit Angst begegnet wird. Mit Citra und Rowan, die neben einigen Nebencharakteren immer wieder zu Wort kommen, begleiten wir verschiedene Scythe zu Nachlesen, die sich in ihrer Methode immer wieder unterscheiden: Manche sind mitfühlend und ehrenhaft, andere wiederum auch erschütternd und erschreckend. Dadurch kommt eine ganz außergewöhnliche Atmosphäre auf.

Die beiden erwähnten Protagonisten hatten es mir sofort angetan, weil sie sich vor allem durch ihr Verhalten gegenüber Scythe von der Masse abheben. Sowohl Citra als auch Rowan haben hohe moralische Grundsätze, sind in ihrem Verhalten auf ehrliche Weise vorbildlich, hinterfragen immer wieder und lassen sich – auch von Scythe – nicht einschüchtern. Während Citra ihren Gefühlen freien Lauf lässt und ihr Herz auf der Zunge trägt, ist Rowan eher undurchschaubar und hält mit seinen Gefühlen hinter dem Berg. Trotzdem fühlen sie sich irgendwie zueinander hingezogen. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden (wenn man es zu diesem Zeitpunkt denn so nennen kann), ist hier unterschwellig bis fast gar nicht vorhanden. Es entwickelt sich nur sehr langsam etwas und die Handlung gerät zu keinem Zeitpunkt in den Hintergrund. Man wird quasi hingehalten und das hat mir ausgesprochen gut gefallen, da es auch die Vorfreude auf die Folgebände erhöht.

Die Charakterentwicklung der beiden verläuft völlig unterschiedlich, was es noch interessanter gemacht hat – trotzdem sind mir beide bis zum Ende sympathisch geblieben, was ein wahres Kunststück des Autors ist. Sowohl ihre Ausbildung als auch die Prüfungen, denen sie sich stellen müssen, halten die Freude beim Lesen die ganze Zeit aufrecht und garantieren, dass die Spannung zu keinem Zeitpunkt nachlässt, selbst dann nicht, wenn es handlungstechnisch ruhiger ist. Dazu trägt auch bei, dass es immer wieder überraschende Wendungen gibt, die man als Leser nicht kommen sieht. Mich hat dieser erste Band vollkommen überzeugen können.

Fazit

Ein absolut genialer Reihenauftakt mit einem faszinierenden Weltenentwurf, vielschichtigen, starken Charakteren und einer düsteren Atmosphäre. Es hat mir viel Spaß gemacht, Citra und Rowan auf ihren unterschiedlichen Wegen zu begleiten. Dieses Buch sollte wirklich jeder mal gelesen haben – ein absoluter All-Age-Roman. Ich vergebe die volle Punktzahl.