Eine dysfunktionale Familie im modernen Japan
Bewertet mit 4.5 Sternen
Als Kanko/Kanako mit dem Kopf auf der Schulbank einschläft und erst aufwacht, als die Klasse für die folgende Stunde den Physikraum betritt, ist nicht mehr zu übersehen, dass die 17-jährige überfordert ist. Die Schülerin ist sich bewusst, dass sie an Depressionen erkrankt ist und die gesamte Familie Hilfe braucht, um die sie jedoch trotz ihrer Eloquenz nicht bitten kann. Obwohl Kanko ihre Situation begreift und in Therapie ist, kann sie offenbar nicht gesund werden, solange die Care-Arbeit auf ihr allein lastet. Kankos Mutter leidet 2 Jahre nach ihrem Schlaganfall noch immer an Lähmungen, trinkt und ist wieder zum verängstigten Kind geworden. Kankos Brüder wohnen nicht mehr zuhause; ihr Vater tritt wie ein leicht kränkbarer, gewalttätiger Psychopath auf, der nur seine eigenen Wünsche gelten lässt. Trotz des gehobenen Lebensstandards mit Haus, PKW und Schulgeld für die drei Kinder wirkt das Verhalten des Vaters ungewöhnlich kaltschnäuzig. Als die Familie eilig ans Sterbebett der Großmutter väterlicherseits nach Katashina reisen muss, erfährt der jüngste Sohn Pon schmerzlich, dass in dieser Familie niemand die Verantwortung trägt; denn er wurde vor der Abreise nicht erinnert, sein Asthma-Medikament einzupacken. Im Großeltern-Haushalt richtet der älteste Sohn inzwischen die Trauerfeier aus und alte Familien-Konflikte flammen auf. Kanko erkennt die vertrauten Muster einer Familie, die nach dem Tyrannenprinzip geführt wurde. Wer sich mit dem Großvater gut stellen wollte, musste verbreiten, seine Frau hätte ihre vier Kinder vernachlässigt. Dass eine Tochter als Jugendliche weglief, verwundert daher nicht.
Fazit
In nüchterner Sprache erzählt Rin Usami aus Sicht der Tochter von einer japanischen Familie der Gegenwart, in der Empathie offenbar ein Fremdwort ist und bereits die Elterngeneration therapeutische Hilfe gebraucht hätte. Auch wenn die geschilderte Kälte schwer zu ertragen ist, die Kanko umgibt, habe ich bewundert, mit welcher Klarheit sie ihre Situation durchschaut.