Rezension

Eine Dystopie wie ich sie gern öfter lesen würde

Du. Wirst. Vergessen - Suzanne Young

Du. Wirst. Vergessen
von Suzanne Young

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wir bleiben im Zelt liegen, bis es dunkel wird, stehen nur auf, um Energieriegel und Wasser zu holen und als wir später einmal müssen. Ich kann nicht schlafen, die ganze Nacht nicht, sondern grüble darüber nach, was die Zukunft bringen wird. Frage mich bang, ob der alte James je wieder zu mir zurückkehren wird.
Als die Sonne sich erneut erhebt, schaue ich hoffnungsvoll zu James hin. Er liegt auf dem Rücken, starrt ins Nichts, und ich weiß, dass er verloren ist.
Genau wie ich. 

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INHALT: 
So gut wie die gesamte Welt ist von einer schrecklichen Epidemie betroffen: Überall werden Jugendliche depressiv und begehen Selbstmord. Nur das "Programm" ist in der Lage, diese Krankheit einzudämmen, allerdings auf schreckliche Weise: Den Betroffenen werden ihre Erinnerungen genommen, und sie kehren zurück als leere Schatten ihrer selbst. Sloane weiß, dass sie keine Gefühle zeigen darf, um nicht auch ein Opfer des "Programms" zu werden. Nur mit ihrem Freund James kann sie unbeschwerte Stunden erleben. Doch dann wird er gefasst, und sie weiß, dass sie etwas tun muss, damit er sie nicht vergisst. Sloane muss kämpfen, doch sie wird von allen Seiten daran gehindert... 

MEINE MEINUNG: 
"Du. Wirst. Vergessen." ist Suzanne Youngs neuster Roman und damit der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur im Präsens, was sie nicht nur gut nachvollziehbar macht, sondern das Szenario auch erschreckend real werden lässt. Der Schreibstil ist dabei von Zeit zu Zeit etwas kühl, dies passt aber dazu, dass Sloane versucht, ihre Gefühle zu unterdrücken bzw. so wenig wie möglich zu zeigen. Nach einer kurzen Einlesezeit wird man sich jedoch damit vertraut und lernt dies dann sogar zu schätzen. 

Sloane ist von Anfang an eine sehr starke Persönlichkeit, deren eiserner Wille zwar sympathisch, zuerst aber auch etwas ungewohnt ist. Je mehr man sich allerdings mit ihren Gefühlen und Gedanken auseinandersetzt, desto mehr lernt man sie auch zu verstehen und zu mögen. Im Laufe der Handlung macht sie viele Veränderungen durch, ihre jeweilige Entwicklung wird dabei aber grundsätzlich überaus glaubhaft und realistisch dargestellt. Ihre große Liebe James ist ebenso ein Kämpfer wie sie und lässt sich nicht unterkriegen, ist aber ebenso in vielerlei Hinsicht paranoid - wenn auch oft zu Recht - und zwischenzeitlich anstrengend. Seine vielen Facetten machen ihn jedoch zu einer interessanten Figur, die man durchaus lieben kann. 

Vielschichtig ist der Autorin auch Realm gelungen, den Sloane später kennen lernt und bei dem man nie so recht weiß, woran man ist. Mal stößt er sie zurück, dann wieder möchte er offensichtlich mehr von ihr; außerdem hilft er in vielen Situationen, scheint aber gleichzeitig auch ein dunkles Geheimnis zu haben. Dies habe ich schnell lösen können, das nimmt jedoch nichts von seinem eigenartigen Charme. Sehr mochte ich auch Sloanes Freundin Lacey, ein mutiges und rebellisches junges Mädchen, das ihr in jeder erdenklichen Situation mit Rat und Tat zur Seite steht. Viele sonstige Figuren, wie etwa die Mitarbeiter des "Programms", sind diejenigen, auf die sich die Abneigung des Lesers konzentrieren soll, und genauso geschieht es auch. Dabei sind die Personen jedoch nicht klischeehaft böse, sondern haben eine freundlich-grausame Art an sich, die sie noch viel gruseliger werden lässt. 

Gruselig ist auch die Geschichte an sich. Schon allein das zugrunde liegende Thema um die Selbstmord-Epidemie bei Jugendlichen lässt einem durchaus anders werden. Zwar wird diese in den Details noch nicht groß behandelt, aber sehr interessant beschrieben. Das "Programm" selbst schockt einen dann oftmals mit der Art des Handelns und der Eindämmung der Krankheit. Sicherlich, man ist sich im Klaren darüber, dass Erinnerungen gelöscht werden, aber wie genau dies vonstatten geht und was die Patienten erdulden müssen, ist psychisch sehr grausam. Suzanne Young stellt diese Vorgänge unglaublich authentisch dar, was einem schon richtig Angst machen kann. Klasse ist aber auch, wie sie dabei unterschwellig den Medikamenten-Wahn der amerikanischen bzw. allgemeinen Pharmaindustrie kritisiert. 

Spannend bleibt das Werk vom Anfang bis zum Ende, und auch einige überraschende Wendungen hält es für den Leser bereit. Und obwohl sich James und Sloane schon lange kennen und lieben, erfährt man trotzdem von ihrer sehr schönen Geschichte und ihren glaubwürdigen Gefühlen. Außerdem ist der Kitsch-Faktor so äußerst gering und das Augenmerk wird nicht auf die Romantik gelegt, was mir sehr gefiel. Auf den letzten Seiten wird es dann noch einmal richtig fesselnd, weil endlich klar ist, dass es auf diese Weise auf keinen Fall weitergehen kann. Die Autorin hat einen Epilog als Schluss gewählt, der noch einmal schockiert und die Ausmaße des "Programms" zeigt - und damit vor allem eines macht: Unbändige Lust auf den nächsten Band. 

FAZIT: 
"Du. Wirst. Vergessen." ist der Auftakt einer Dystopien-Trilogie - und definitiv einer der Besten. Suzanne Young hat hier ein erschreckend realistisches System erschaffen, das ihre starken und sympathischen Figuren bekämpfen müssen. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergehen wird und vergebe verdiente 4,5 Punkte, hier aufgerundet auf 5. Unbedingt lesen!