Rezension

Eine eindringliche Geschichte über Frauenfeindlichkeit

Reichlich spät -

Reichlich spät
von Claire Keegan

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist ein Freitagnachmittag, als Cathal nach der Arbeit in den Bus steigt und die Heimreise antritt. In Gedanken ist er bei Sabine, mit der er die letzten Monate geteilt hatte. Cathal erinnert sich an ihr Kennenlernen und an gemeinsame Momente: Sabine, wie sie teure Lebensmittel kauft, den Bräter zu lange einweichen lässt und zu viel Platz in seiner Wohnung einnimmt. Eigentlich würden sie an diesem Freitag ihre Hochzeit feiern, wäre die F***e nicht gegangen…

 

Auf wenigen Seiten umreißt Claire Keegan in „Reichlich spät“ das Ende einer Beziehung.

Aus der Perspektive von Cathal beschreibt sie seine Sicht auf die Frauenwelt. Sei es die Kollegin aus der Buchhaltung, die polnische Reinigungskraft oder die Sitznachbarin im Bus, Cathal blickt auf die Frauen in seiner Umgebung herab. Ihm zufolge reden sie zu viel, sind übergewichtig oder schauen ihn schief an. Ebenso sieht er Sabine, die Frau, die noch bis vor Kurzem an seiner Seite stand. Cathal ist oberflächlich, undankbar und herabwürdigend. Glücklicherweise realisiert Sabine, mit welcher Art Mann sie liiert ist, und löst – ihren eigenen Wert kennend – die Verlobung. Doch Cathal wäre nicht er selbst, würde ihn die Trennung zum Umdenken anregen. „(…) dass sie nicht hören und gut die Hälfte der Dinge auf ihre Weise tun wollte.“ (S. 35), sieht er das Problem bezeichnenderweise bei Sabine.

Was Claire Keegan hier beschreibt, ist ein Mann, dessen Wahrnehmung der Welt durchweg frauenverachtend, gar frauenfeindlich ist. Trotz seiner negativen Charakterzüge schafft sie es, ihre Figur absolut glaubwürdig abzubilden, denn die Botschaft in „Reichlich spät“ vermittelt die Autorin anfangs eher subtil und erst später offensiver. So entwickelt man während des Lesens eine immer stärker werdende Antipathie gegenüber Cathal, die sich, umso länger das Erzählte nachhallt, in eine regelrechte Wut umwandelt. Mit dem Thema Misogynie nämlich spricht Keegan etwas an, das leider bis heute in sämtlichen Ländern der Erde und in allen Gesellschaftsschichten verbreitet ist. Für viele Frauen ist die Behandlung, wie sie Sabine und die übrigen weiblichen Charaktere erfahren, tägliche Realität.

Beim Erzählen konzentriert sich Claire Keegan auf die relevanten Inhalte und schreibt kein Wort zu viel. Ihre ausdrucksstarke Geschichte beläuft sich dadurch auf gerade einmal 55 Seiten. Obwohl das Thema so schwer im Magen liegt, kommt das Buch also ganz leicht daher.

Für das eigene Regal ist die Ausgabe ein Schmuckstück: Die Aufmachung des Werkes wirkt durch den Leineneinband sehr hochwertig und erhält eine besondere Haptik.

Ein Buch, das in jeglicher Hinsicht empfehlenswert ist!