Rezension

Eine einfache Geschichte, eindringlich erzählt

Ein Mädchen nicht von dieser Welt - Aharon Appelfeld

Ein Mädchen nicht von dieser Welt
von Aharon Appelfeld

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist Zufall, dass einige Sätze gegen Ende dieses Buchs wohl gut in die Situation heutiger Flüchtlinge etwas aus Syrien passen: »Um das alles zu erzählen, was uns im Wald geschehen ist, brauchen wir Jahre«, sagt der 9-jährige Thomas. Und auf die Frage, was er damit meine: »Es ist nicht leicht, über die Angst und den Hunger zu sprechen. Sie sind ganz wirklich, aber sehr schwer zu beschreiben.« (S. 122)

Es ist eine einfache Geschichte, die Aharon Appelfeld in seinem Buch erzählt: Zwei jüdische Jungen werden unabhängig voneinander von ihren Müttern aus dem Ghetto geschleust und in den Wald gebracht. Die Mütter müssen zurück, um sich um andere Familienangehörige zu kümmern, und wollen abends wiederkommen – sie kommen aber nicht. Die beiden 9-jährigen Jungen, Adam und Thomas, der erste Sohn eines Schreiners, der zweite eines Lehrers, Klassenkameraden, treffen sich im Wald und leben – oder überleben – dort zusammen.

Adam ist »lebenspraktischer«, er packt an und tut, was zu tun ist – etwa ein Versteck in einem Baum einrichten –, Thomas ist mehr ein Zweifler, überdenkt alles, hat nicht das intuitive Gottvertrauen Adams. Seine Familie setzt mehr auf Wissen und Lernen als auf Glauben.

Das »Mädchen nicht von dieser Welt«, das dem Buch den Titel gibt, ist Mina, eine frühere Klassenkameradin, die sich bei einem Bauern versteckt, der sie arbeiten lässt und schlecht behandelt. Sie und ein anderer Bauer machen es möglich, dass die Jungen nicht verhungern, indem sie ihnen Essen zurechtlegen, wo sie es finden werden.

Es passiert nicht viel in Appelfelds Erzählung. Erzählt wird aus der Perspektive der beiden Jungen, und aus ihrer Sich wird die Welt dargestellt. Vom Nationalsozialismus, der Shoah, dem Krieg erfährt man nur recht vermittelt: indem die Jungen darüber nachdenken, warum sie fliehen mussten (weil sie Juden sind); indem immer mal wieder die Hoffnung geäußert wird, der Krieg sei bald zu Ende und dann komme die Rote Armee, und sie wären sicher (Appelfeld selbst hat als Junge in etwa diesem Alter in den Wäldern überlebt und lebte dann für einige Zeit bei der Roten Armee); schließlich hören die Kinder immer mal wieder Schreie, Schüsse, sehen aus ihrem Versteck Flüchtlinge, denen sie helfen.

Es ist, wie gesagt, eine einfache Geschichte, aus Kinderperspektive erzählt. Es passiert nicht sehr viel – und doch würde es Jahre dauern, wiederzugeben, was solche Flüchtlingskinder erleben. Das Buch ist einfach in der Sprache – und gerade so eindringlich, wie bei Appelfeld üblich.

Kommentare

LySch kommentierte am 15. Januar 2018 um 23:59

Dir ist eine wundervolle Rezension gelungen, echt schön! Habe das Buch eben fertig gelesen und bin erschüttert und erstaunt. Eine kleine Perle!

Steve Kaminski kommentierte am 16. Januar 2018 um 09:40

Dankeschön für Deinen Kommentar!