Rezension

eine Familiengeschichte, intensiv und klug

Hier ist alles sicher -

Hier ist alles sicher
von Anneleen Van Offel

Bewertet mit 5 Sternen

Lydia, in Belgien lebende Kinderärztin, folgt dem Ruf ihres verstorbenen Stiefsohns nach Israel. Vor 10 Jahren haben sie und ihr Mann Joachim sich scheiden lassen. Joachim ist dann nach Israel ausgewandert und hat den Sohn Immanuel mitgenommen, den die Eheleute in 13 Jahren in Belgien aufgezogen haben.

Auf dem Bild des Buchcovers verläuft quer ein Riss. Ein Riss geht auch durch diese kleine Familie, die sich gründet, nachdem die Kinderärztin Lydia das Leben des Säuglings Immanuel rettet und dessen Vater Joachim heiratet. Diesen Riss habe ich bei der Lektüre als die Geschichte der Herkunft des Vaters empfunden, der durch die Vergangenheit seiner jüdischen Familie traumatisiert ist.

Der Vater glaubt, sein eigenes und das Leben seines Sohnes einzig und allein in Israel weiterführen zu können. Israel steht zwischen Lydia und Joachim, die Ehe scheitert. Lydia verliert Immanuel, den sie innig liebt wie ein leibliches Kind. Sie reist, nachdem Immanuel 23jährig Selbstmord begangen hat, nach Israel.

Dort beginnt ein Roadtrip auf den Spuren Immanuels, sowohl aus der Perspektive Lydias als auch aus der Perspektive des Sohnes jeweils in der Ich-Form erzählt. Eingeblendet werden Episoden aus dem Familienleben in Belgien.

Die Geschichte wird in kurzen Sätzen und in schöner, unsentimentaler Sprache erzählt. Der Schmerz der Protagonisten wird sichtbar, ohne den Leser verzweifelt zurückzulassen. Durch Lydias Reise durch Israel mit ihren verschiedenen Stationen bzw. Aufenthalten bei den dort lebenden Menschen wird ein Einblick in den Alltag und das Leben der Bewohner ermöglicht, den man als Tourist nicht erhalten kann. Auch hier wird wieder ein Riss sichtbar, der sich diesmal durch das ganze Land zieht.

Dies ist kein politischer Roman. Es geht vielmehr um Themen wie die Verarbeitung von Trauer, die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität, Liebe, Eltern-Kind-Beziehungen, Mutterschaft und die, wie ich finde, ganz große Frage, ob man familiären Prägungen jemals entkommen kann und ob es Wunden gibt, die ganze Generationen überdauern können. Am Ende ist gar nichts sicher, schon gar nicht in Israel.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Auch weil die angesprochenen schweren Themen m. E. dennoch in lebensbejahender Form erzählt werden.

Ich vergebe 5 Sterne.