Rezension

Eine gelungene Sammlung von Gedanken, Abschweifungen, Geschichten und Zitatschnipseln

Was fehlt dir
von Sigrid Nunez

Bewertet mit 4 Sternen

„Warum haben Sterbende nicht das Recht, ihr Leben zu beenden?“ (S. 122)

Nachdem ich im vergangenen Jahr „Der Freund“ von Sigrid Nunez begeistert gelesen hatte, stand für mich gleich fest, dass ich auch ihr neues Buch lesen würde, ohne dass ich im Vorfeld wissen musste, wovon es handeln würde. Und so nahm ich unvorbereitet „Was fehlt dir“ zur Hand und ließ mich auch dieses Mal wieder durch eine Sammlung von Gedanken, Abschweifungen, Geschichten und Zitatschnipsel leiten, die sich mal ganz nah an einem Thema befinden, manchmal aber auch nur indirekt damit in Verbindung gebracht werden können. Sie schreibt darüber, wie wir einander verbunden sind, in Glück und Trauer, Trost und Zuversicht – und wie Mitgefühl unsere Sicht aufs Leben verändern kann.

In der ersten Hälfte des Buches hatte ich zeitweilig das Gefühl in einer Essay-Sammlung gelandet zu sein, obwohl das Buch doch als Roman bezeichnet wird. Aber schließlich gelingt es der Autorin doch den eingangs gelegten roten Faden wieder aufzugreifen und die Geschichte der Ich-Erzählerin und ihrer krebskranken Freundin weiter zu spinnen. Weil für letztere der Tod trotz Chemotherapie unausweichlich ist, beschließt sie den Zeitpunkt ihres Todes mit Hilfe von Tabletten selbst bestimmen zu wollen und bittet die Ich-Erzählerin ihr in den letzten Wochen oder Monaten ihres Lebens zur Seite zu stehen.

„Ich spreche nicht von Hilfe beim Sterben, sagt sie. Ich weiß, was ich tun muss. Es ist nicht kompliziert. Kompliziert ist, was zwischen jetzt und dann passieren soll.“ (S. 84)

Ohne zu wissen, wann dieser Zeitpunkt sein wird, willigt die Ich-Erzählerin schließlich ein und begleitet ihre Freundin in ihrer letzten Phase bis zum Tod.

Wie bereits in „Der Freund“ gelingt es Sigrid Nunez auch in „Was fehlt dir“ in einem relativ handlungsarmen Text, den sie in einem eleganten Plauderton formuliert, starke und manchmal auch provozierende Bilder zu platzieren und dabei Themen wie das älter werden, selbstbestimmtes Sterben, Tod, Freundschaft, Liebe und Vergänglichkeit zu behandeln. Dabei wird sie nicht sentimental oder mitleidig, sondern wirft einen harten nüchternen Blick auf die Dinge und gönnt dem Leser dabei auch trotz trauriger Themen gelegentlich eine wohltuende Prise trockenen Humors.

„Nicht nur glaubt sie nicht an ein Leben nach dem Tod, sie ist auch fassungslos, dass so viele Menschen es tun.“ (S. 147)

Die Figuren in diesem Buch sind alle namenlos und man bleibt als Leser auf Distanz zu ihnen. Und doch entsteht anhand der durchaus realen Elemente und den Gedanken, denen man in diesem Buch auf anregende, manchmal auch berührende, Weise folgen kann, die Möglichkeit mit den Figuren aus angemessenem Abstand mitfühlen zu können. Zwar geraten die Nacherzählungen von Lektüreerlebnissen oder Filmen hin und wieder etwas zu ausführlich, aber die Denkanstöße, die Sigrid Nunez in diesem Buch liefert, entschädigen dafür allemal. Ein recht spezielles, aber doch gelungenes Buch.