Rezension

eine gelungene Zeitreise, in welcher der Lokalkolorit punktet

Fräulein Gold. Scheunenkinder - Anne Stern

Fräulein Gold. Scheunenkinder
von Anne Stern

Der Roman „Fräulein Gold — Scheunenkinder“ von Anne Stern nimmt den Leser mit nach Berlin der 20er Jahre, in die Zeit der Inflation und der Wirtschaftskrise. Es wird keine schnulzige Liebesgeschichte erzählt, und mitnichten eine leichte, wie es vielleicht der Titel suggerieren mag. Die junge Hebamme Gold, die ich schon aus dem ersten Teil („Schatten und Licht“) der Trilogie als eine patente und neugierige Persönlichkeit kenne, wird in die rätselhafte Suche nach einem Neugeborenen im jüdischen Viertel Berlins verstrickt. Je stärker sie versucht auf die Spur des Säuglings zu kommen, desto hartnäckiger ist der Widerstand der Bewohner des Scheunenviertels. Jeder hütet seine Geheimnisse in dieser sehr düsteren und dunklen Welt der Hauptstadt.

Die Autorin schafft es ihre Leser sofort abzuholen. Ihre Figuren, besonders die Nebenprotagonisten sind richtig im Fokus, sind gut ausgearbeitet und beschrieben. Sofort kann man sich ein Bild von jeder einzelnen Figur machen. Zusammen mit ihren kurzen, präzisen Beschreibungen der Umgebung und Gegebenheiten veranschaulicht Anne Stern das Leben in Berlin sehr gut. Die Atmosphäre und die Stimmung (oftmals rau und bedrückt, ob durch die Inflation oder die Armut?) sind meisterhaft eingefangen. Man ist mit allen Sinnen dabei. Eingegangen wird auf die unterschiedlichen Werte, Mentalitäten, Religionen und Lebensweisen. Nicht nur politische Ereignisse und Entwicklungen werden vortrefflich beschrieben, auch das Drama der jungen Mutter Tamar, ihre Zerrissenheit in der fremden Umgebung ist gut durchdacht.

Der zweite Band lässt überwiegend unsentimental auf Huldas bewegte Vergangenheit blicken. Man lernt ihren Vater persönlich kennen, blickt in ihre Kindheit zurück und erfährt manches, sogar über ihr verlorenes Kind. Natürlich fragt sich der Leser, wie es weiter mit dem Kommissar North und Hulda Gold geht? Tja, nach einer perfekten oder gar romantischer Beziehung sieht es noch von weitem nicht aus. Ist die Vergangenheit und die schwierige Kindheit der beiden schuld oder das Leben selbst, dass nicht alles ganz rosig und blumig läuft? Sie werden noch einiges erleben, aber schon im dritten Teil...

Mit einem traurigen Auge nehme ich Abschied von diesem Roman, von der gelungene Zeitreise, in welcher der Lokalkolorit punktet und der Krimi fast zur Nebensache wird, und empfehle daher die wunderbar fesselnde und spannend in Seiten verpackte Geschichte, von der man sich gar nicht trennen mag, gerne weiter.