Rezension

Eine Geschichte über Verantwortung und Erwachsen werden

Insel der Waisen - Laurel Snyder

Insel der Waisen
von Laurel Snyder

Bewertet mit 4 Sternen

Auf einer Insel irgendwo im Nirgendwo leben neun Kinder, ganz alleine. Jedes Jahr, nachdem eine Glocke ertönt, taucht ein grünes Boot auf und in diesem sitzt ein Kleinkind. Während dieses Kleinkind vom neuen Ältesten der Insel betreut wird, muss der zuvor Älteste die Insel mit dem Boot verlassen. So geht es Jahr für Jahr und in diesem Jahr ist Jinny die neue Älteste und muss ihre Aufgabe annehme, das kleine Mädchen Ess zu betreuen und dieser das Leben auf der Insel zu erleichtern. Jinny fällt es schwer, sich auf die Erziehung der kleinen Ess zu konzentrieren, denn ihre Gedanken kreisen ständig darum, dass sie schon bald die Insel verlassen soll. Doch was wäre, wenn sie einfach bleiben würde?

Meine Meinung

Ein wunderschönes, sehr auffälliges Cover machte mich neugierig auf den Inhalt des Buches und der Klappentext erinnerte mich an eine moderne Form von Herr der Fliegen. Der Einstieg fällt hier ebenfalls sehr leicht, denn Laurel Snyder versteht es, ihre Leser direkt auf die ferne Insel zu versetzen. Sie schreibt leicht und gut verständlich und auch für die Zielgruppe ab zwölf Jahren dürfte es hier keinerlei Verständnisprobleme geben.
Zu Beginn lernen wir Jinny kennen und erleben gleich die Ankunft des neuen Kindes und nehmen Abschied vom Ältesten Deen. Auch wenn Deen versucht hatte, Jinny auf ihre neue Rolle als Mentorin eines Kleinkindes einzustimmen, fällt es dieser zunächst alles andere als leicht, diese überaus verantwortungsvolle Rolle zu übernehmen. Diese Darstellung ist der Autorin sehr glaubhaft gelungen, denn als Mutter weiß man, wie schwer es manchmal ist, in jeder Lage für ein kleines Kind Verantwortung zu übernehmen. Wie schwer das für ein junges Mädchen, dessen Alter ich auf ca. 12 Jahren schätze, ist, wird hier sehr gelungen gezeigt.
Ansonsten ist die Insel und ihre Bewohner sehr gut beschrieben. Jeder hat hier tägliche Aufgaben, die den Alltag erleichtern sollen und müssen. Die Kinder müssen sich aufeinander verlassen können und so manches bekommt von ihnen sogar eigene Ausdrücke, wie z. B. die Früchte der Insel. Doch Lauren Snyder lässt dem Leser eine ganze Menge Fragen offen. So hat man keinerlei Hinweise, warum die Kinder überhaupt auf der Insel sind oder ob sie wirklich Waisen sind. Nur ein paar alte Bücher, die einst einem Mädchen namens Abigail gehörten, erzählen vom Leben ausserhalb der Insel. Doch auch wenn genau diese Frage immer wieder in meinem Kopf herumspukte, gab es auch noch genügend andere Dinge, die man hier erlebte.
So erzählt die Geschichte von Verantwortung, sich selbst aber auch anderen gegenüber, von Vertrauen und Mut, von Freundschaft, aber auch vom Abschied nehmen. All diese Punkte werden hier in erster Linie durch die Protagonistin Jinny gezeigt, die hier deutlich im Mittelpunkt steht. Als Leser verfolgen wir Jinnys Gedanken und Gefühlen und beobachtet, welche Entscheidungen sie trifft. Diese kommen oftmals aus dem Bauch heraus und gerade bei Jinny spürt man deutlich, dass sie noch gar nicht so weit ist, wirklich die “Älteste” und somit die Verantwortliche zu sein.
Jinny machte mich nachdenklich, denn sie sollte noch Kind sein und doch muss sie oft wie eine Erwachsene handeln. Im Laufe der Geschichte beginnt aber auch Jinny zu reifen und auch wenn nicht immer alle Entscheidungen, die sie trifft, vernünftig sind, so sind durchaus nachvollziehbar. Neben Jinny gibt es natürlich noch die anderen Kinder auf der Insel, bei der vor allem der ruhige Ben einen bleibenden Eindruck hinterlässt und hier manches Mal älter wirkt als Jinny. Auch die kleine Ess, die völlig verstört und verängstig auf die Insel kommt, wird klar gezeichnet. Allerdings ist auch genau diese Zeichnung des Kleinkindes für mich die am wenigsten glaubwürdige, denn für das, was Jinny ihr auf der Insel beibringen soll, ist sie meiner Meinung nach einfach zu klein. Ob aber genau das der wichtige Punkt hier ist? Ich kann es gar nicht genau sagen. Aber irgendwie könnte ich mir, vor allem nach dem Ende, vorstellen, dass die Geschichte noch weiter erzählt werden könnte.

Mein Fazit

Eine sehr ungewöhnliche Geschichte über das Lernen von Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, aber auch über Liebe dem nächsten gegenüber, Vertrauen, Freundschaft und Zusammenhalt. Insgesamt macht die Geschichte nachdenklich und lässt den Leser mit vielen Fragen zurück. Was und vor allem wer steckt hinter der Insel? Darüber wird sich der Leser wohl seine eigenen Gedanken bilden müssen.