Rezension

Eine gradlinige Fortsetzung

Die Alchimistin - Die Unsterbliche - Kai Meyer

Die Alchimistin - Die Unsterbliche
von Kai Meyer

Bewertet mit 4 Sternen

Die Unsterbliche ist kein neues Buch, es wurde nach guten 10 Jahren zum Erscheinen des dritten Bandes der Trilogie ebenso wie der Auftaktband Die Alchimistin neu aufgelegt. Ob und inwiefern sich diese Ausgabe von der ersten unterscheidet, kann ich nicht sagen, da ich die ursprüngliche Ausgabe nicht kenne.
Konnte man Die Alchimistin zusammenfassend als eine starke Mischung zwischen einem historischen Roman mit einem Hang zu einer Familienchronik und Fantasy beschreiben, ist der zweite Band nur noch historischer Roman mit einem Hauch Fantasy. Der historische Aspekt wird nicht nur durch die Zeit, in der das Buch spielt, integriert, sondern auch durch reale Gegebenheiten der Zeit. Hier ist nun der gerade begonnene Erste Weltkrieg aktuell, sowie einige Charaktere oder Verbindungen, die es in ähnlicher Form gegeben hat und in diesem Buch eine entscheidende Rolle spielen.
Der Aspekt der Familien-Chronik kommt nicht mehr stark zum tragen, da einerseits das Buch nicht am Familiensitz spielt, andererseits sind bereits eine Fülle von Fakten über die Familie aufgedeckt. Zudem sind die Charaktere bereits bekannt und ausreichend eingeführt, so dass hierfür nicht mehr viel Raum gelassen werden musste. So fehlte jedoch diesem Buch ein Aspekt, der mir im ersten Band sehr gefallen hat: Die Charaktere waren dort plausibel und vielschichtig dargestellt und dennoch sehr ambivalent. So haben sich die Sympathien gegenüber den Charakteren stets verschoben und mit den Wandlungen, die die Handlung nahm, haben sich auch die Sympathien gegenüber den Charakteren verändert. Hier sind die Charaktere weitgehend gefestigt, dennoch sind auch hier Ansätze der Ambivalenz zu erkennen, nicht zuletzt durch den maskierten Fremden, der sich langsam in Auras Herz stielt, der ominöse Gegenspieler (oder sind diese beiden gar eine Person) und nicht zuletzt Gians merkwürdige Anwandlungen.
Auch in diesem Buch bleiben wir nich ausschließlich bei Auras Perspektive, sondern erleben manche Dinge auch aus der Sicht Tess’ und Gillians, jedoch steht Aura hier eindeutig im Vordergrund, was die Geschichte gradliniger und nicht so vielschichtig macht.
Hat Meyer mit Die Alchimistin durch die vielen unvorhersehbaren Wandlungen, die Vielschichtigkeit und Verästelung der Handlung und die erschütternden Enthüllungen, die die Hauptdarsteller machen ein wirklich starkes Buch vorgelegt, so wirkt Die Unsterbliche irgendwie unspektakulärer. Dennoch wusste ich, worauf ich mich einließ und so war mein stärkster Kritikpunkt hier nicht mehr gegeben, denn bei  Die Alchimistin erwartete ich genau das: Eine Alchimistin, die forscht und alchimistisch aktiv ist. Dies kam im ersten Band nicht so stark zum Tragen, doch auch hier war Aura nicht aktiv in einem Labor beschäftig, doch war sie getrieben auf der Suche nach dem Verbum Dissimum. Die Unsterbliche wirkt als ein geschlossenens Buch besser für sich und da die Geschichte gradliniger und nicht zu verschachtelt ist, wiegt auch der Punkt der Ausführlichkeit nicht zu stark. Im ersten Band gab es so viel zu erzählen, dass, um es atmosphärisch und plausibel auszugestalten, mehr Seiten notwendig gewesen wären; hier ist die Seitenzahl zwar noch geringer, doch durch die Gradlinigkeit wiegt es hier bei weitem nicht so stark, auch wenn ich mir hier an mancher Stelle mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte. Vor allem die anderen Erzählstänge (Gillian und Tess) hätten ruhig noch ausgedehnter und atmosphärischer gestaltet werden können.
Das Buch schließt wie auch schon Die Alchimistin mit drei ergänzenden wissenschaftlichen Aufsätzen von Hanka Jobke. Eine nette, aber eigentlich überflüssige Ergänzung.

Fazit: Im direkten Vergleich der beiden Bücher ist der zweite Teil weitaus unspektakulärer als der erste, da er viel gradliniger ist. Dennoch gibt es auch hier Wendungen, die die Handlung spannend machen. Nach der Lektüre des ersten Teils wusste ich, was mich mit dem Charakter Aura erwartet und war nicht mehr enttäuscht, keine forschende, experimentierende Alchimistin zu erleben. So hat mir das Lesen dieses Buches im Ganzen mehr Spaß gemacht als der erste Band, was im Umkehrschluss jedoch auch bedeutet, dass dieser bei einer zweiten Lektüre wesentlich besser abschneiden würde… In Die Unsterbliche liefert Meyer wieder ein erstklassisch geschriebenes Buch ab – er ist ein wirkliches Erzähltalent. Dennoch würde ich mir hier auch mehr Ausführlichkeit wünschen, so dass die Geschichte den Leser wirklich packt und mitreißt – vielleicht geschieht dies ja in Die Gebannte…