Rezension

Eine grandiose Dystopie

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt - Andrea Schacht

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt
von Andrea Schacht

*Worum geht's?*
In ferner Zukunft hat eine Epidemie ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt. Die Krankheit hat unzählige Tote gefordert und die Überlebenden hoffnungslos zurückgelassen. Aus den Trümmern des Kontinents wurde "New Europe", kurz NuYu, geschaffen, eine neue Gesellschaft, in der Frauen das Sagen haben. Kyria ist die Tochter einer der bedeutendsten Frauen NuYus, einer Ministerin, und sollte eigentlich längst tot sein. Ein tödlicher Gendefekt schlummert in ihr wie eine tickende Zeitbombe, die jeder Zeit explodieren kann. Nur durch die bestmögliche medizinische Versorgung kann sie nun ihren 18. Geburtstag feiern. Doch dann passiert das, wovor sie und ihre Mutter sich schon so lange fürchten: Nach einem Zwischenfall wird Kyria ins Krankenhaus eingeliefert und muss erfahren, dass sie nur noch drei Wochen zu leben hat. Als sie dort auf den Subcultura Reb trifft, fasst sie kurzerhand einen ungewöhnlichen Entschluss: Für die letzten Tage ihres Lebens will sie fort von der beengenden Gesellschaft und ihrer besorgten Mutter. Zusammen nehmen Kyria und Reb Reißaus, um endlich frei zu sein - und kommen dabei dem Geheimnis auf die Spur, was hinter NuYus fröhlicher und wohlhabender Fassade wirklich steckt...

*Kaufgrund:*
Eine Dystopie aus deutscher Feder mit einem Cover, das einem den Atem raubt. "Kyria & Reb" war wie die Liebe auf den ersten Blick und hat mich zum Lesen verführt!

*Meine Meinung:*
Eine Zukunft, in der die Frauen die Welt regieren - in "Kyria & Reb: Bis ans Ende der Welt", dem Auftakt einer dystopischen Jugendbuchreihe der Autorin Andrea Schacht, erzählt uns Protagonisten Kyria aus ihrer Sicht, wie es ist, in einer solchen Welt zu leben. Was für Kyria normal ist, bringt uns Leser oft zum Schmunzeln: Männer erledigen die Hausarbeit, üben keine anspruchsvollen Berufe aus und sind auf die Güte der Frauen angewiesen. Nach einer schwerwiegenden Epidemie haben die Frauen das Ruder der Macht an sich gerissen und das traditionelle Rollenbild umgedreht. Es gibt sogar einen Alice-Schwarzer-Platz, der zur Feier des Erfolgs der Frauen erbaut wurde! In dieser Dystopie haben die Frauen eine Welt voller Harmonie und Glückseligkeit erschaffen... oder etwa nicht? Alles hat seine Schattenseite, so auch diese Gesellschaft, mit der noch lange nicht alle einverstanden sind. Viele Menschen - vor allem Männer, aber auch Frauen -, die sich gegen die Frauengesellschaft wehren, haben sich bewusst für ein Leben ohne Rechte entschieden und sich in Subculturen zusammengeschlossen, wo sie nun beinahe von der Hand in den Mund leben. Wieder andere sind in Reservate gezogen, um dem hochmodernisierten Stadtleben zu entkommen und ein ländliches Leben ohne Kontrollen führen zu können. Stadtmenschen, Subcultura und "Reservatler" leben nebeneinander her und geraten immer wieder aneinander, doch Kyria ahnt nicht, in welcher Beziehung sie wirklich zueinander stehen... Andrea Schacht hat mit ihrer Dystopie eine aufregende und spannende Geschichte geschaffen, die einen an ihre Seiten fesselt und mitfiebern lässt. Zusammen mit Kyria kommt man einer grausamen Intrige auf die Spur - und man ist mit jeder Faser seines Körpers voll dabei! Man grübelt, spekuliert - und wird doch an der Nase herumgeführt...

Andrea Schachts Idee hinter der Geschichte hat mich vollkommen in ihren Bann gezogen. Selten machen sich Autoren die Mühe ihre dystopischen Systeme so intensiv zu durchdenken und zu entwickeln, wie es die Autorin in diesem Roman gemacht hat. Eigentlich würde ich ihr dafür nun ein großes Lob aussprechen, wäre da nicht die Tatsache, dass Frau Schacht uns Leser mit ihren komplizierten Erläuterungen oftmals allein lässt. Nicht selten kommt es dazu, dass ihre Erklärungen mehr Fragen aufwerfen, als sie an Antworten liefern können. Dadurch entsteht ein viel zu komplexes, zu dicht gestricktes Netz, das es einem unheimlich schwierig macht, eine Sache konkret zu erfassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Autorin die Folgebände nutzen wird, um dieses Netz stückchenweise aufzufädeln. Ein paar Informationen mehr hätten dem Serienauftakt keinen Abbruch getan!

Kyria ist die typische Dystopie-Protagonistin: Einst ein ehrliches und braves Mädchen, wird sie durch eine tragische Wendung in ihrem Leben auf die schrecklichen Missstände und die falschen Spiele hinter der Oberfläche der Gesellschaft aufmerksam und entwickelt sich mehr und mehr zur Rebellin. Bereits zu Beginn zeigen sich bei Kyria, so wie bei den meisten ihrer Genre-Kolleginnen, kritische Gedanken gegenüber dem System, die sich mit der Zeit zu einer rigorosen Ablehnung vertiefen. Trotz der "alten Leier", die Andrea Schacht in ihrem Serienauftakt durchspielt, ist man als Leser von dieser typischen Entwicklung überhaupt nicht gelangweilt. Kyria ist eine so sympathische, aufrichtige und vor allem authentische Persönlichkeit, dass jeder Moment mit ihr einfach Spaß macht! Wen stören da schon die Parallelen, wenn man eine Protagonistin begleiten darf, mit der man sich großartig identifizieren kann?

Auch bei Reb verhält es sich kaum anders. Er ist der klassische Außenseiter, der Gegner des Systems, der das brave Mädchen zur Rebellin macht. Die Ähnlichkeiten zu anderen Romanen sind hier ebenfalls nicht zu übersehen. Dafür sticht Reb in Sachen Charakter völlig aus der Masse heraus: Er ist nicht der sanfte, zärtliche Retter in der Not und ganz sicher nicht der Ritter in der scheinenden Rüstung, nein! Reb ist ein waschechter Badboy, der mit seinem Charme und seinem kühnen Auftreten jedes Mädchenherz zum Schmelzen bringt - auch das der Leserinnen! Er ist das genaue Gegenteil von Kyria; nicht wohlerzogen, artig und pedantisch, sondern ungehobelt, frech und hart im Nehmen. Doch wie bei jedem bösen Jungen gilt ebenso für Reb der Spruch: "Harte Schale, weicher Kern"! Der junge Rebell musste bereits viele Rückschläge in seinem Leben erleiden, die ihn dazu zwangen, sich ein dickes Fell anzulegen. Ab und zu blitzt seine verletzliche Seite für einen kurzen Moment auf und man erfährt, wer hinter der knallharten Fassade wirklich steckt. Reb entwickelt sich jedoch nicht zu einem weinerlichen Softi! Er bleibt der charmante, von sich selbst überzeugte Badboy, der Mädels mit Leichtigkeit den Kopf verdreht.

Zusammen sind Kyria und Reb wie Feuer und Wasser, wie Plus und Minus. Seit ihrer ersten Begegnung ziehen sie sich gegenseitig an, geraten aber durch ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten und Sichtweisen gleichermaßen immer wieder aneinander. Es ist ein ständiges Hin und Her aus Annäherungen und Streitereien - nun ja, die Balgereien überwiegen definitiv, sind jedoch stets ein Hochgenuss und nicht bloß nervige Zankereien! Andrea Schacht hat aus den Meinungsverschiedenheiten ihres gegensätzlichen Protagonistenpärchens amüsante Szenen gemacht, die einem jedes Mal ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Es macht wahnsinnig viel Spaß, Kyria und Reb beim Streiten zu beobachten, während die zärtlichen Momente ihrerseits zum Schwärmen einladen. Ja, Kyria und Reb sind ein wahrlich erfrischendes Pärchen, von denen man unbedingt mehr lesen will!

Die Nebencharaktere können leider nicht einmal ansatzweise mit den beiden Protagonisten mithalten. Sie bieten eine Menge Potenzial, das die Autorin jedoch bedauerlicherweise ungenutzt gelassen hat. Schacht konzentriert sich so stark auf Kyria und Reb, dass der Rest schlichtweg zu kurz kommt und zu blass bleibt. Dabei sind Figuren wie Hazel, Willow oder Alvar in ihren Grundzügen so interessant und sympathisch gestaltet! Man würde sehr gern mehr über sie erfahren, erhält aber keine Möglichkeit dazu. Bleibt zu hoffen, dass Andrea Schacht dies im zweiten Teil ändern wird!

*Cover:*
WOW! Also, wenn dieses Cover kein absoluter Grund zum Coverkauf ist, dann weiß ich auch nicht! Das Zusammenspiel der Farben ist einfach großartig! Der darauf abgebildete Wald mit dem versteckten Dörfchen ist zudem ein wichtiger Ort für das Geschehen in "Kyria & Reb", wodurch der Bezug zum Inhalt hergestellt wird, auf den ich so viel Wert lege. Ein großes Lob an die Grafiker!

*Fazit:*
"Kyria & Reb: Bis ans Ende der Welt" ist eine grandiose Dystopie, die mit tollen Hauptcharakteren und einer ausgeklügelten Story überzeugen kann. Schachts Serienauftakt hat sich als ein echter Pageturner erwiesen! Leider bleiben die Nebencharaktere etwas zu blass und die komplexe Welt zu oberflächlich; hier hätte ich mehr erwartet! In dieser Hinsicht lege ich aber große Hoffnungen in die Fortsetzung, auf die wir hoffentlich nicht mehr allzu lange warten müssen! Ich vergebe sehr gute 4 Sterne für "Kyria & Reb"!