Rezension

Eine große Enttäuschung

Die Lichter unter uns - Verena Carl

Die Lichter unter uns
von Verena Carl

Bewertet mit 2 Sternen

Unglückliche Bilanz eines ach so normalen Lebens

„Anna wollte protestieren. Wollte ihm erklären, dass es kein Glücksrezept gab, nicht seine, nicht ihre Art von Familie und auch nicht das Alleinsein. Dass kein Mensch es aushielt, wenn alle Hoffnungen eines anderen auf ihm lasteten.“

Anna und Jo verbringen ihren Urlaub auf Taormina, einer sizilianischen Insel, auf der sie einst auch ihren Honeymoon gefeiert haben. Diesmal jedoch ist die Beziehung nicht mehr so jung, frisch und unbelastet, denn die beiden Kinder Bruno und Judith nehmen einen Großteil ihrer Freizeit in Anspruch und ein finanzieller Engpass zwingt sie dazu, von allem die Billigvariante zu ergreifen, statt das erhoffte Luxusmodell. Frust, Unzufriedenheit und erkaltete Gefühle prägen den Alltag der beiden. Da kommt Anna der attraktive Schwimmer Alexander, der mit seinem Sohn und seiner blutjungen, schwangeren Freundin Zoe ebenfalls auf Taormina Urlaub macht, wie gerufen. Endlich ein Lichtblick in ihrem Leben, ein Fremder, der ihr Beachtung schenkt und doch so distanziert bleibt. Denn anders als Anna vermutet, hat auch Alexander ein schweres Päckchen zu tragen und längst ist nicht alles so perfekt, wie es scheint …

Von diesem Roman habe ich mir eine tiefgreifende, emotionale Geschichte über den Verlust der Träume erwartet, eine potentielle Antwort auf den Sinn des Lebens, eine Reflexion über innere Gedanken, vermeintliche Fehler und die ehrliche Antwort auf die Frage, ob andere glücklicher sind, als man selbst und warum überhaupt dieser Gedankengang so existentiell, so notwendig erscheint. Doch zu meiner Enttäuschung, vermag es die junge deutsche Autorin Verena Carl, die bereits mit dem Hamburger  Förderpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, nicht meine Empathie zu gewinnen. Das große Manko dieses Romans ist meiner Meinung nach sein Triviallität, das ständige Verfallen der Personen in allzu vorhersehbare Muster und ihr dramatisches Auftreten auf der eigentlich entspannten Urlaubsbühne.

Zunächst einmal mangelt es dem Text schon deshalb an Dichte und Innerlichkeit, weil er statt einer Hauptprotagonistin (so wie ich erwartet habe) gleich mehrere Personen ins Zentrum rückt. Dadurch bekommt man als Leser einerseits den Überblick über zahlreiche zwischenmenschliche Befindlichkeiten, verliert aber andererseits den Bezug zu einer speziellen Person. Erschwerend empfinde ich dann die klischeehafte Ausarbeitung der Darsteller, die ich hier bewusst so nennen mochte, da mich die Szenen des Buches vielmehr an einen Film erinnert haben, als mir lieb gewesen wäre. Da findet man die enttäuschte Mittvierzigerin, die sich Abwechslung und Abenteuer wünscht und stattdessen von den anstrengenden Kindern genervt wird. Den schweigsamen Ehepartner, der sich in seiner Jugend auch zu Männern hingezogen fühlte. Die quirlige Vorpubertierende, die an jeder Ecke ein neues Drama in Gang setzt und auf der anderen Seite eine Familie, die alles andere sind als eine Gemeinschaft, sondern in erster Linie Einzelkämpfer mit fragwürdigen Wertvorstellungen.

Und obwohl die Personen sehr bildlich und umfassend gezeichnet werden, bleiben sie mir allesamt fremd, ja schlimmer noch, sie erfüllen mich mit Abscheu und Schrecken und einem zunehmenden Unverständnis für die Realität des Lebens. Das Unglück, die Melancholie, die die Stimmung des Textes mit sich bringt, führe ich im Wesentlichen auf das Unvermögen der Personen zurück, die verlernt haben, miteinander zu kommunizieren, die sich auf fragwürdige Experimente einlassen und denen es an Schaffenskraft und Mut fehlt. Nicht nur, um sich die selbstgelegten Fesseln abzunehmen, sondern auch, um einen generellen, geglückten Neuanfang in die Wege zu leiten.

Einzig der Schreibstil, die Wortwahl und die stilistisch schönen Sätze konnten mich hier ein wenig von der oberflächlichen Handlung ablenken und mich beim Roman halten, den ich ansonsten auf Grund seiner Handlung spätestens ab der Hälfte des Buches wohl abgebrochen hätte.

Fazit: Ich vergebe 2 Lesesterne für einen Roman, der ganz und gar nicht meiner Erwartungshaltung entsprach. Gefunden habe ich anstrengende Menschen, in alltäglichen Handlungen, mit einem kalkulierbaren Vorleben und keinerlei Entwicklungspotential. Viele Klischees, viel Drama um Nichts, wenig Handlungsanreize aber leider auch kein Gedankenkonstrukt der philosophischen Natur. Sacht und leise, plätschert das Geschehen vor sich hin und verliert sich im Nirgendwo, genau wie die Aufräumarbeiten zum Ende der Urlaubssaison, werden die Stühle gestapelt, die Böden gekehrt und die Türen verschlossen – bis irgendwann ein neues, allzu gleiches Intermezzo beginnt.