Rezension

Eine Horror-Geschichte voller Grauen und Atmosphäre

Das Fleisch der Vielen - Kai Meyer

Das Fleisch der Vielen
von Kai Meyer

Bewertet mit 4 Sternen

Selbst mir als nur Gelegenheits-Fantasy-Leser ist Kai Meyer selbstverständlich ein Begriff und als ich dann auch noch las, dass seine erste Graphic Novel im Leipziger Hotel Astoria spielt, war meine Neugierde auf die Geschichte geweckt. Eine Horrorgeschichte, die im Astoria spielt: Das konnte ich mir von Anfang an richtig gut vorstellen, denn das verfallene Hotel wirkt schon von außen wie ein Spukhaus. Es ist deswegen auf jeden Fall der perfekte Handlungsort und wie Meyer es in seiner Kurzgeschichte, die übrigens noch einmal ungekürzt nach der eigentlichen Graphic Novel abgedruckt ist, inszeniert, hat mir richtig gut gefallen beziehungsweise beim Lesen für Gänsehaut gesorgt.

Das, was Kai Meyer im Grand Hotel Astoria geschehen lässt, ist von Anfang an nicht greifbar. Es ist kein verrückter Mörder, der in dem alten Gemäuer sein Unwesen treibt, es sind auch keine Vampire, Wendigos oder Gespenster - vielmehr hatte ich das Gefühl, dass es das Haus selbst ist, das Jana und Tim das Fürchten lehrt. Die bedrückende Stimmung, die düstere und absolut gruselige Atmosphäre - das schalldichte Abgeschirmtsein von der Außenwelt. Und vor allem sind es die Dinge in den Köpfen der beiden Figuren, die das Grauen so lebendig und allgegenwärtig machen. Das Szenario, das Kai Meyer erschafft, ist auf morbide Weise faszinierend und vor allem finde ich es bemerkenswert, dass es eben komplett ohne Schurken auskommt, sondern von der Fantasie des Lesers lebt. In gewisser Weise gibt Kai Meyer einem den Rahmen und das Gehirn spinnt daraus ein schauriges Horrorszenario allererster Güte.

Mich hat dabei vor allem beeindruckt, dass es gar nicht viel braucht, um den Leser in Angst und Schrecken zu versetzen. Das mag vielleicht übertrieben klingen, aber es gab in dieser Graphic Novel tatsächlich einige Szenen, die in mir Übelkeit und ein sehr beklemmendes Gefühl in der Brust ausgelöst haben. Diese Atmosphäre greift auch Jurek Malottke mit seinen sehr skizzenhaften, dunklen Zeichnungen auf. An vielen Stellen bleiben diese ebenso vage wie die Handlung - die Dinge, die sich abspielen, werden angedeutet, aber nicht konkretisiert oder detailhaft dargestellt. Text und Bild harmonieren in "Das Fleisch der Vielen" daher auf besonders beeindruckende Weise miteinander.

Die Handlung trieft vor Wahnsinn, vor Grauen und Ekel - und diese Mischung hat mir richtig gut gefallen und mir ein wirklich schauriges Leseerlebnis verschafft. Ich muss aber sagen, dass ich es, obwohl ich es wie gesagt großartig finde, wie Meyer und Malottke mit der Fantasie des Lesers spielen und sie zu Höchstleistungen antreiben, generell etwas expliziter mag. Hier und da waren mir die Comic Strips einen Ticken zu schatten- und skizzenhaft, hätte ich gerne mehr gesehen vom Hotel Astoria und von den Protagonisten Tim und Jana. Ansonsten aber muss ich wirklich staunen - was Kai Meyer und Jurek Malottke hier geschaffen haben, ist modern, völlig verrückt und steckt voller Horror.

Mein Fazit
"Das Fleisch der Vielen" ist ein schauriges Lesevergnügen, das von seinen Andeutungen lebt und von dem, was während des Lesens im eigenen Kopf passiert. Ich hätte zwar gerne mehr vom Schauplatz gesehen, aber das körper- und gestaltlose Grauen, das Kai Meyer mit seinen Worten heraufbeschwört und Jurek Malottke mit seinen skizzenhaften Zeichnungen auf Papier bringt, hat mich tief beeindruckt. Das ist ein Horror-Comic, der diese Bezeichnung wirklich verdient hat.