Rezension

Eine Insel, zwei Expeditionen – und dazwischen ein ganzes Jahrhundert

Everland - Rebecca Hunt

Everland
von Rebecca Hunt

Eine Insel, zwei Expeditionen – und dazwischen liegt ein ganzes Jahrhundert. Das Ziel ist Everland, ein (fiktives) Eiland in der Antarktis. Bereits im Jahr 1913 machen sich drei Briten auf den Weg dorthin, die von ihrer Forschergruppe für diese Exkursion ausgewählt wurden. Napps, Erster Offizier und Expeditionsleiter, hart und kaltschnäuzig. Millet-Bass, Seemann, groß, kräftig und unkompliziert. Und Dinners, Forscher und Träumer, der in seiner eigenen Welt lebt, das schwache Glied der Gruppe. Es ist eine lebensfeindliche Umgebung, die keinen Fehler verzeiht, die Wetterbedingungen sind katastrophal, die Teilnehmer geraten an ihre physischen und mentalen Grenzen. Und schnell wird klar, dass diese Expedition in einem Desaster enden wird. Für die Nachwelt bleibt einzig ein Logbuch. Es bildet die Grundlage für einen Film, der diese Unternehmung für die Nachwelt dokumentieren soll. Wahrheit oder Lüge?

Anlässlich des hundertsten Jahrestages begeben sich drei weitere Wissenschaftler auf die Spuren von Napps, Millet-Bass und Dinners. Decker, der erfahrene Anführer, Jess, die kundige Feldassistentin, die ihm zur Hand gehen soll, und Brix, die mangelnde Kenntnisse durch Begeisterung wettzumachen versucht. Obwohl diese Gruppe moderne Transportmittel benutzt und Hightech-Equipment zur Verfügung hat, kämpfen sie schlussendlich mit ähnlichen Problemen wie ihre Vorgänger hundert Jahre zuvor.

Keine Frage, die Antarktis ist schroff und unwirtlich, ja sogar lebensbedrohlich. Jeder, der sich dort warum auch immer aufhält, ist den Elementen schonungslos ausgesetzt Und natürlich beschreibt die Autorin sehr anschaulich diese Lebensbedingungen, aber auch deren psychische und physische Auswirkungen auf die Expeditionsteilnehmer heute und vor hundert Jahren. Doch sie verweilt nicht länger als für die Dramaturgie erforderlich bei diesen Beschreibungen, sondern konzentriert sich auf das Zwischenmenschliche, die dynamischen Prozesse, die innerhalb der beiden Dreierteams ablaufen und sich trotz des großen zeitlichen Abstands kaum unterscheiden. Ist aber nicht weiter erstaunlich, sind doch die Personenkonstellationen sowie die Funktionen des Einzelnen innerhalb der Gruppe nahezu identisch.

„Everland“ ist ein Roman, der seine Geheimnisse erst nach und nach frei gibt. Was geschah wirklich bei der ersten Expedition? Stimmen die Eintragungen im Logbuch des Kapitäns, oder wurden sie womöglich geschönt? Diese Frage stellt man sich relativ bald. Und hier sorgt Rebecca Hunt durch den steten Wechsel zwischen den Zeiten (und somit auch zwischen den beiden Erzählebenen) dafür, dass das Interesse des Lesers nicht abebbt, sondern erhalten bleibt.

Dennoch, der Fokus der Autorin liegt auf dem Verhalten der Expeditionsteilnehmer in den Situationen, in denen ihre Menschlichkeit auf die Probe gestellt wird. Sind die Entscheidungen, die sie treffen, geleitet vom Verstand und der realistischen Einschätzung der Situation oder lassen sie sich von ihren Gefühlen leiten? Nimmt man Schaden an der Seele durch den Aufenthalt auf „Everland“?

Viele interessante Fragen, die jeder Leser für sich selbst beantworten kann. Lesen!