Rezension

Eine komplizierte Sprache als intellektueller Wettbewerbsvorteil

Die Zeichen der Sieger - Thekla Chabbi

Die Zeichen der Sieger
von Thekla Chabbi

Bewertet mit 5 Sternen

In einem sehr dichten, informativen Einführungskapitel definiert Thekla Chabbi zunächst unser Chinabild als Europäer. Die chinesische  Sprache mache präzises Denken, Subjektivität und Reflexion unmöglich, wurde von Missionaren und Gelehrten vergangener Zeiten kolportiert und damit den Chinesisch Sprechenden als Personen küchenpsychologisch diese Fähigkeiten abgesprochen. Aus beschränkter christlich-eurozentrischer Sicht wurde ein Volk über seine Defizite definiert, obwohl sich die Struktur seiner Sprache einem direkten Vergleich mit  europäischen Sprachen entzieht.

Im Zeitalter globaler Märkte rückt inzwischen verstärkt die Frage in den Mittelpunkt, wie in internationalen Teams Kollegen aus aller Herren Länder denken, aber auch wie Anwendungen programmiert werden müssen, wenn der zukünftige Kunde offensichtlich anders tickt als wir es in Europa erwarten. Chabbi vermittelt die dazu nötige Allgemeinbildung, indem sie von der Entstehung des Hochchinesischen als Nationalsprache erzählt und darüber, dass noch Mao aufgrund seines ländlichen Dialekts in der Öffentlichkeit kaum verstanden wurde, während Xi Jinping der erste chinesische Staatschef ist, der Hoch-Chinesisch spricht. Wer sich für den “Bildungsbegriff“ interessiert oder für Sprache als politisches Instrument, erfährt hier den letzten Schliff. Gerade im Zeitalter von Übersetzungs-Apps finde ich es hochinteressant zu verfolgen, wie Sprache nicht ohne Kultur- und Landeskenntnisse funktionieren kann. Auch, welchen Raum Anspielungen einnehmen, habe ich erfahren, wenn ein Volk sich unterhalten möchte, ohne dass der große Bruder mithört. Wie Sprache Bilder erzeugt, Werte und Traditionen vermittelt und wie das Schreiben einer Sprache das menschliche Denken beeinflusst, das ist sicher nicht nur für Leser interessant, die sich speziell für die chinesische Sprache interessieren.

Im größeren Teil des Buches geht es um die chinesische Schrift, welches Wissen sie in Symbolen über China transportiert, wie die Struktur der Schriftzeichen das Erlernen erleichtert, aber auch, warum Bildung Voraussetzung für das Chinesisch-Lernen ist. Da in Deutschland gerade die Abschaffung der Schreibschrift im Schulunterricht diskutiert wird, interessiert es mich, was durch die Schreib-Bewegung und durch intensives Üben im menschlichen Hirn geschieht. Am Ende schließt sich ein Kreis aus Wissen über Chinesisch als Sprache mit intellektuellem Wettbewerbsvorteil und mit der Überlegung, ob man ablehnen oder vereinfachen sollte, was man „kompliziert“ findet. Wie wir  unseren Kindern in Europa mehr als die defizitorientierte eurozentrische Sichtweise vermitteln können und warum wir derzeit so wenig Widersprüchliches aushalten, fragte ich mich beim Lesen auch. Sich einmal in Gedanken auf die Landkarte Chinas stellen, dabei um die eigene Achse drehen und überlegen, wer nun meine Nachbarn sind, kann sehr heilsam sein. Um Empathie, Einfühlung in die Kränkbarkeit ganzer Nationen und ihre Auswirkung auf unser Zusammenleben geht es hier ebenfalls – auch deutsche Politiker haben auf diesem Gebiet deutlich Nachholbedarf.

Mit Grundkenntnissen der chinesischen (oder japanischen) Sprache ist Chabbis Buch sicher leichter zu verstehen als ohne. Empfehlenswert finde ich es für Leser, die selbst mit sehr guten Englischkenntnissen im Team oder in der bi-nationalen Familie an Grenzen der Verständigung gelangt sind, aber auch für generell an Sprachen und Lernmethoden Interessierte.