Rezension

Eine lebendige, einschüchternde Geschichte von einer doch so fremden Welt

Palast der Miserablen - Abbas Khider

Palast der Miserablen
von Abbas Khider

Bewertet mit 3.5 Sternen

Abbas Khider führt uns mit seinem Roman "Palast der Miserablen" in ein vom Krieg und seinem diktatorischen Staatsoberhaupt gebeuteltes Land. Um genau zu sein, geht es in den Irak. Shams Hussein lebt gemeinsam mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Qamer in der Nähe der südlichen Grenze. Obwohl bereits seit Jahren Krieg zwischen dem Irak und dem Iran herrscht, bekommen sie hier nur wenig davon mit. Shams Vater ist Soldat und wurde ganz in der Nähe stationiert, seine Mutter putzt in der örtlichen Moschee. Sie haben eigentlich einen recht guten Stand und doch drängt es die Familie irgendwann weiter. Als sich der Konflikt der benachbarten Länder und die Auseinandersetzungen zwischen den Sunniten und Schiiten weiter zuspitzt, beschließen sie nach Saddam City (ein Stadtteil von Bagdad) zu ziehen, um hier ein friedlicheres Leben führen zu können. Zunächst kommen sie noch bei Verwandten unter, aber die Situation scheint ausweglos. Sie brauchen etwas eigenes und ziehen in das an die Stadt angrenzende Blechviertel, einem Ort, an dem sich der ärmere Teil der Bevölkerung aus dem Müll der aufstrebenden Stadt Häuser baut. Shams geht wieder zur Schule und alle anderen Familienmitglieder versuchen Geld aufzutreiben. Sie probieren sich mit Weissagungen, Gepäckträgerdiensten und anderen dubiosen Geschäften über Wasser zu halten. Und auch Shams bietet sich als Tütenverkäufer auf dem Basar, als Busfahrergehilfe, Fotograf oder als Buchverkäufer an. Durch ein eher zufälliges Treffen auf dem Basar öffnen sich für ihn dann ungeahnte Türen. Sein Cousin nimmt ihn mit in einen Literaturclub und bringt ihn damit zurück in die Gefahrenzone, denn was Sham zu dem Zeitpunkt vielleicht noch nicht ahnt, einfach jedes falsche Wort oder unglückliche Treffen kann bereits den Tod bedeuten…

 

“Es war ein buntes Chaos. Alles, was ich von Bagdad sah, wirkte auf mich wie ein unendlich großer Basar. Es war eine laute und lebendige Welt, wie ich sie noch nie zuvor kennengelernt hatte. […] Und wenn das hier nur ein winziger Teil der Hauptstadt war, wie sah dann bloß der Rest aus? Ich konnte es nicht erwarten, mehr zu sehen, auch wenn mich das alles zugleich einschüchterte.”

 

Dieser Roman ist toll. Dieser Roman reißt einen mit. Dieser Roman ist langweilig. Ich glaube, ich war bei einem Buch schon lange nicht mehr so hin und her gerissen. Die Geschichte bietet so ein großartiges und mitreißendes Abbild über das Leben zwischen Hoffnung nach Frieden, Unterdrückung, Zusammenhalt, Angst. Khider lässt den Leser durch seine sehr nahbaren Figuren zu einer Art Augenzeugen der Kriminalität, des Widerstands, des versuchten Lebens zwischen Wirtschaftsembargo und erhoffter Freiheit werden. Die Geschichte der Familie visualisiert den wirtschaftlichen Abstieg durch den Krieg und die ständigen Unruhen im Land, aber eben auch die Tatkraft und den Willen der Menschen sich unter den gegebenen Umständen eine bessere Zukunft aufzubauen. Khider porträtiert die einzelnen Familienmitglieder teilweise sehr intensiv, arbeitet beinahe für jeden einzelne Charakterzüge aus und lässt ihre Geschichte gerade dadurch so wahnsinnig lebendig werden. Zumindest diesen Teil der Geschichte. Der Roman beginnt nämlich an einem ganz anderen Ort. Ein Häftling erzählt von seinen Fluchtgedanken, vom Leben in seiner Gefängniszelle. Immer wieder durchbricht eben jener die doch recht spannende Geschichte über Shams Familie mit einzelnen Details zu seiner Gefangenschaft, seinen Schmerzen oder gar Beulen am Gesäß. Man weiß, dass irgendetwas geschehen sein muss, das den Protagonisten der Geschichte in die Zelle gebracht hat und so wartet man dann tatsächlich recht lange auf die Erklärung. Beinahe wirkte es dann für mich so, als wenn Khider gegen Ende des Romans noch schnell etwas Spannung aufbauen und die Verknüpfung mit den Gefangenschaftsabschnitten herstellen will. Ich persönlich hätte diese kurzen Kapitel auch nicht wirklich gebraucht, da sie in dieser Form (wenn überhaupt) nur einen kleinen Mehrwert bieten. Ähnlich erging es mir dann auch, als Khider den Fokus auf Shams Pubertät lenkt, sich auf ihn fokussiert und die ganze Familiensituation, die ich gerade in der ersten Hälfte so faszinierend und toll fand, beinahe vernachlässigt. Shams wird älter, ‘entdeckt’ das weibliche Geschlecht, geht in der Literatur förmlich auf, schreibt eigene Texte, trifft sich mit anderen und unterhält sich mit ihnen über einzelne literarische Texte und die Welt. An diesen Stellen habe ich mich dann oft gefragt, was denn nun mit seiner Schwester ist oder der Mutter und was der Vater gerade anstellen mag. Einige Seiten später weitet Khider seinen Blick wieder, aber vorher habe ich’s gänzlich vermisst und wurde mit anderen Informationen, der Literatur und anderen Charakteren ‘versorgt’. Und ja, diese zweite Hälfte war einfach nicht meins, ich mag keine Bücher in denen davon erzählt wird, wie Menschen Literatur vortragen oder wenn zahlreiche Charakter ausführlich vorgestellt werden, die bereits nach kurzer Zeit nicht mehr auftauchen. Khider hat für mich den Fokus verloren und wollte unbedingt noch von anderen Sachen erzählen und das fand ich in dieser Form irgendwie fehl am Platz. Ehrlich gesagt habe ich auch nicht erwartet, dass der “Palast der Miserablen” ein Name für einen Literaturclub darstellt und unter der Betrachtung, dass dieser Roman von dem ‘Palast’ handelt, ist gerade dieser Abschnitt dann doch recht kurz.

.