Rezension

Eine mitreißende Geschichte unter dem Niemalshimmel

Gebannt. Unter fremdem Himmel - Veronica Rossi

Gebannt. Unter fremdem Himmel
von Veronica Rossi

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dystopienmüde? Jetzt nicht mehr, denn mit "Gebannt: Unter fremdem Himmel" erschafft Veronica Rossi eine beeindruckende, dystopische mit phantastischen Elementen. Eine ganz besondere Reise unter fremdem Himmel beginnt...

"Das hier waren nicht die Welten, in denen der bloße Gedanke ein Ergebnis ablieferte. Doch sie wusste, dass sie nun eine bessere Chance hatte. Und im Leben, zumindest in ihrem neuen Leben, waren Chancen das Beste, worauf sie hoffen konte. Sie waren wie ihre Steine - unvollkommen, überraschend und auf lange Sicht vielleicht besser als Gewissheiten. Chancen, so fand sie, waren das Leben."
[”Gebannt: Unter fremdem Himmel” // Veronica Rossi // S.342]

Erster Satz:
Die Welt außerhalb der Biosphäre nannten sie »Todeszone«.

Inhalt:
Die Erde in der Zukunft: die Menschheit ist in zwei Hälften geteilt - die "Siedler", die in großen Biospähren unter den Bergen hausen und ihr Leben in einer Art Scheinwelt verbringen und die "Außenseiter", verschiedene Stämme, die außerhalb der Biosphären, in der sogenannten Todeszone ums nackte Überleben kämpfen. In dieser tödlichen Welt ist der Himmel niemals wolkenlos und über dem ganzen Szenario wabert der Äther, eine blaue Substanz, die sogenannte Ätherstürme herbeiführen und ganze Landstriche innerhalb weniger Sekunden zerstören kann. Die junge Aria gehört zu den Siedlern und kann sich ein Leben außerhalb der virtuellen Welten nicht vorstellen bis schließlich der Kontakt zu ihrer Mutter, die sich in einer anderen Biosphäre aufhält, abbricht und Aria alles daran setzt, diesen wieder zu erlangen. Durch eine Intrige wird sie schließlich in die Todeszone verbannt und trifft dort auf Peregrine. Peregrine ist ein Außenseiter und will nur eins: seinen Neffen zurück, der von den Siedlern entführt wurde und da kommt ihm Aria gerade recht...

Schreibstil:
Veronica Rossis Schreibstil ist besonders erzählerisch und beschreibend, was für eine sehr dichte Atmosphäre sorgt. Im Grunde ist er einfach und relativ schnörkellos, doch ist man erst einmal gebannt von ihren Worten, wirkt ihr Stil verzaubert, fast schon magisch. Sie hat diese unvergleichliche Art kleine tiefgründige Botschaften wie selbstverständlich in den Schreibstil einzuweben, ohne das einem wirklich klar wird, dass der Schreibstil nicht einfach nur flüssig lesbar und angenehm ist. Normalerweise ist die dritte Person Singular problematisch, was die Nähe zu den Figuren angeht, aber in diesem Fall ist jede Skepsis unangebracht - ich bin den Protagonisten so nahe gekommen, wie lange keinem Buch mit Ich-Erzählern. Das Buch ist abwechselnd aus der Sicht von Aria und Perry beschrieben, sodass man beide Figuren sehr gut kennenlernen kann und beide haben ihre ganz eigene Art zu erzählen. Ein einfacher Schreibstil, der aber unglaublich atmosphärisch ist und dabei Suchtpotenzial besitzt.

Meine Meinung:
Dystopische Geschichten laufen für mich prinzipiell nach einem bestimmten Muster ab, wecken prinzipiell dieselben Gefühlsregungen beim Leser und sind prinzipiell immer recht unterhaltsam. Um es gleich vorweg zu sagen: "Gebannt: Unter fremdem Himmel" tanzt in diesem Sinne nur wenig aus der Reihe und erfindet das dystopische (und sich immer weitere drehende) Rad nicht neu, aber "Gebannt" hatte etwas, was viele andere Dystopien für mich nicht haben: Nähe. Vielen dieser Bücher mangelt es an der Nähe zu den Figuren, da diese oftmals kalt und weit entfernt wirken und dem Leser oft nicht gestattet wird, eine wirklich starke Bindung zu den jeweiligen Charakteren aufzubauen. "Gebannt" hat mich da eines Besseren belehren können, mich im allerwahrsten Sinne einfach nur gebannt lesen lassen und mich in eine gespaltene Welt entführt, die so einige Abenteuer bereitgehalten hat. Hier mischen sich die Genres und heraus kommt ein bannender Mix aus Dystopie mit phantastischen Elementen, die mich nicht nur verzaubert, sondern auch schlaflos machen konnte.

Besonders spannend und interessant ist Veronica Rossis Worldforming, da sie direkt zwei dystopische Gesellschaften formt, die unterschiedliche Ansätze haben und dadurch beiderseits so einige moralische Fragen wecken. Detailreich und originell werden beide Gesellschaften in Szene gesetzt und keine davon wird direkt als besser oder schlechter herauskristallisiert, obwohl eine Tendenz erkennbar ist. Gerade dieses Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Welten hat das Buch sehr authentisch und glaubwürdig gemacht, denn beide haben ihre Schwächen und Stärken und beide Gesellschaften drohen auseinander zu brechen. Die eine lebt lediglich virtuell, ohne Schmerz und Angst, aber auch ohne wirkliche Liebe, während die andere beinahe wie Indianerstämme wirken und in teils mittelalterlichen Verhältnissen leben. So wird natürlich auch das Aufeinandertreffen der Figuren eine interessante Begebenheit, an die sich nicht nur der Leser ersteinmal gewöhnen muss. Ebenfalls sehr interessant sind die besonderen Fähigkeiten einiger Außenseiter (erinnerte mich stellenweise ein wenig an "Die Beschenkte"), die in den nächsten Teilen sicherlich noch eine große Rolle spielen wird.

“Lichten sich die Wolken jemals?”, fragte sie nun.
“Vollständig? Nein. Niemals.”
“Was ist mit dem Äther? Verschwindet er jemals?”
“Niemals, Maulwurf. Der Äther geht niemals weg.”
Sie schaute hoch. “Eine Welt, voll mit Niemals, unter
einem Niemalshimmel.”
[S. 148]

Doch es sind gerade die Figuren, die das Buch derart lebendig machen. Selten verliebt man sich in beide Protagonisten, selten fiebert man derart mit Figuren mit und wünscht ihnen nur das beste, doch in diesem Fall habe ich tatsächlich nur wenig zu meckern. Aria ist eine starke Protagonistin, die ständig redet und gerne Fragen stellt. Sie ist eine absolute Sympathieträgerin und ihre Gefühle sind zu jeder Zeit verständlich. Neben Peregrine, auch Perry genannt, wirkt sie allerdings dann doch ein wenig blass, denn mit Perry hat Rossi eine ganz besondere männliche Figur geschaffen, die nach Außen hin sehr ruppig und wild wirkt, innen jedoch von vielen Fragen geplagt wird und eigentlich eher sanfter Natur ist. Gerade seinen Gedanken folgt man gern, denn er ist sehr ursprünglich und Fangirling an einfach sexy Fangirling aus. Was jedoch nicht nur ihn und Aria, sondern auch die Nebenfiguren so plastisch und glaubwürdig macht, sind die vielen Ecken und Kanten und die besonderen Charaktereigenschaften. Jeder ist anders, jeder redet anders und so kommt es, dass man jede Figur in sein Herz schließen kann.

Gebannt hat mich auch die Liebesgeschichte, die sanft in das Geschehen eingewebt wurde und weder zu aufdringlich, noch zu rar gesät ist. Die Chemie zwischen den Figuren stimmt einfach und lässt so einige prickelnde Szenen entstehen. Besonders die Beziehung zwischen den beiden, die sich nur langsam, aber stetig entwickelt, ist besonders detailreich und warm beschrieben. Die Dialoge und Szenen haben einfach immer das besondere Etwas und die gesellschaftsbedingten Unterschiede zwischen ihnen nur allzu deutlich aufgezeigt. Ich fand es sehr spannend, dass Perry in dem Fall fortgeschrittener war als Aria, obwohl diese ja eigentlich in der technisch fortgeschrittenen Biosphäre lebt. Was mir widerrum ein wenig gefehlt hat, waren kleine Zusatzinformationen, die aber sicher in den Folgebänden noch geklärt werden: Wieso haben sich die Menschen gespalten? Wie kam es zu dem Äther und was bedeutet die Einheit? Viele Details wurden nicht geklärt, die uns vermutlich in Band 2 erwarten, ebenso wie einige neue Figuren.

Fazit:
Dystopienmüde? Jetzt nicht mehr, denn ich bin wieder vollauf "Gebannt" und noch ganz aufgeregt von der Reise unter fremdem Himmel. Die Geschichte um Aria und Perry hat mir gezeigt, dass es noch Dystopien gibt, die mich verzaubern können und mich in eine plastische Welt zu ziehen wissen. Auf einer abenteuerlichen Reise zwischen Leben, Tod, Freundschaft und Liebe wird man nicht nur brillant unterhalten, sondern fühlt sich selbst wie unter fremdem Himmel. Eine grandiose Figurenausarbeitung, interessant gestaltete Welten und eine extrem dichte Atmosphäre haben dieses Buch überraschenderweise für mich zu einem absoluten Pageturner gemacht, den ich kaum aus der Hand legen konnte und wollte. Schwächen gab es kaum welche, außer die etwas spärlichen Informationen, und so ist "Gebannt: Unter fremdem Himmel" ein Buch, das ich jedem ans Herz legen möchte, der vielleicht inzwischen übersättigt an den ganzen Dystopien ist und sich überraschen und verzaubern lassen möchte. Eine tolle, unterhaltsame und faszinierende Geschichte - unbedingt lesen!