Rezension

Eine mutige Frau

Vom anderen Ende der Welt - Liv Winterberg

Vom anderen Ende der Welt
von Liv Winterberg

Bewertet mit 5 Sternen

Darum gehts:

England, spätes 18. Jahrhundert: Von ihrem Vater, einem Arzt und Wissenschaftler, zur Botanikerin ausgebildet, träumt die junge Mary Linley davon, die Welt zu bereisen. Doch als sie nach dem Tod des Vaters verheiratet werden soll, sieht sie nur eine Möglichkeit, ihrer Berufung zu folgen. Sie gibt sich als Mann aus, um an Bord der Sailing Queen im Stab des Botanikers Sir Carl Belham auf Expeditionsfahrt zu gehen. Die Lebensbedingungen auf See erschüttern sie, denn Entbehrungen, Krankheiten und Tod prägen den Alltag. Dennoch glaubt sie, ihr Ziel erreicht zu haben: Sie erkundet fremde, faszinierende Länder. Erst durch die Liebe zu Sir Carl Belham erkennt sie, dass sie sich für ihre Ideale selbst verleugnet ...

Mein Eindruck:

Bücher wie dieses gibt es meiner Meinung nach viel zu wenige. Zu verfolgen, wie Mary als "Marc Middleton" verkleidet an Bord der Sailing Queen anheuert und jeden Tag befürchtet, ihre Identität könnte auffliegen war ungemein spannend. Allerdings muss Mary nach kurzer Zeit an Bord schon feststellen, dass der Alltag auf See viel härter ist, als sie sich das anfangs ausgemalt hat. Sie lernt, dass Stürme, falsche Ernährung und ansteckende Krankheiten ein viel größeres Risiko bergen als ihre Verkleidung. Trotzdem kann sie sich nie ganz in Sicherheit wähnen, denn ihr Kajütennachbar bemerkt eines Tages, dass ihre Hosen einmal im Monat blutig sind...
Die Geschehnisse an Bord sind interessant und detailreich geschildert, so dass man sich gut vorstellen konnte, wie die Seeleute und Forscher ihre Tage auf dem Schiff verbringen. Die meiste Zeit wird der offene Ozean überfahren, es werden aber auch Landausflüge geschildert, bei denen die Botaniker neue Entdeckungen machen und auch mit Eingeborenen in Kontakt treten.
Man merkt dass Liv Winterberg die Details ihres Romans gut recherhiert hat, denn man erfährt einiges über die Arbeit als Botaniker, und auch darüber, wie schwer es eine Frau in der damaligen Zeit hatte. Die Wünsche der Frauen waren unwichtig, Wissenschaft war reine Männersache, während Frauen zu heiraten und hinter dem Herd zu stehen hatten. Nur Dank der Ausbildung durch ihren Vater hatte Mary überhaupt eine Chance, dem damals immer gleichen Schicksal junger Frauen zu entgehen und dieses Abenteuer zu erleben.
Zwischen den Kapitel wechselt die Erzählperspektive, so dass wir  die Geschehnisse nicht nur durch Marys Augen verfolgen können, sondern auch durch die des Schiffsjungen Seth, des Botanikers Carl Belham, des Eingeboreren Owahiri aus Tahiti sowie durch die Landon Reeds, den Mary in Plymouth vor ihrer Flucht hätte heiraten sollen. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen bekommt man Dinge mit, die wir allein aus Marys Sicht nicht hätte mitbekommen können, die aber für die Handlung ziemlich wichtig sind.
Einziges Manko dieses Sommerschmökers war Liv Winterbergs Sprache, die bei einigen der Dialoge gesteltzt und unnatürlich klang. Ich vermute, dass diese etwas holprige Ausdrucksweise aus dem Versuch entstanden ist, die Sprache an das Jahr 1787 anzupassen. Meiner Meinung nach ist das allerdings nicht besonders gut gelungen. Hier ein paar kurze Beispiele:
"So, da bist du wieder. Setz dich bitte zu mir", sagte Henriette und winkte Mary zu sich heran. "William, gern würden wir einen Tee zu uns nehmen"
"William wird dir derweil dein Zimmer zeigen. Erfrisch dich bitte, im Schrank findest du Wäsche und Kleider."
Positiv aufgefallen ist mir dafür die Aufmachung des Buches. Neben dem tropisch gestalteten Cover finden sich im Inneren des Buches noch eine Karte mit der Route der Sailing Queen sowie ein für Landratten sehr hilfreiches Glossar mit Begriffen aus der Seefahrt sowie einigen botanischen Erklärungen.

Vom anderen Ende der Welt war ein gutes Buch, um es bei der Hitze im Garten zu lesen. So konnte ich mir das ganze Geschehen noch besser vorstellen.
Insgesamt war die Geschichte spannend und abwechslungsreich, die Charaktere dreidimensional und eigenständig. Es hat Spaß gemacht, Marys Reise rund um die Welt und schließlich zu sich selbst mitzuverfolgen.