Rezension

Eine Panoramaaufnahme ohne Fokus

Abtrünniger vor Inselpanorama -

Abtrünniger vor Inselpanorama
von Edi Matić

Bewertet mit 2.5 Sternen

Der noch recht junge Verlag Edition CONVERSO (gegründet 2018) hat sich inhaltlich allen Regionen rings um Mittelmeer, Adria und den Küsten Kleinasiens verschrieben. Er bringt uns Literatur aus den bisher häufig übersehenen Regionen in bibliophiler Gestaltung näher. Der Roman „Abtrünniger vor Inselpanorama“ wurde vom kroatischen Schriftsteller Edi Matic in 2020 unter dem kroatischen Titel „POP“ (dt. der Pope, der Priester) erstveröffentlicht und erscheint nun in der Übersetzung von Alida Bremer.

Der Roman verbindet inhaltlich die beiden Themen, die der Verlag geschickt in den deutschen Titel hat einfließen lassen: Zum einen lernen wir zu Beginn in einer Verhörsituation Jadran Grobarek (der Abtrünnige) kennen. Er war bis zu einem folgenschweren Vorfall der Bodyguard eines kroatischen Ministers und floh unter falscher Identität auf eine kleine Insel vor der kroatischen Küste. Diese falsche Identität ist die eines Franziskaners, unter dessen Soutane Jadran nun einige Zeit unentdeckt auf der Insel verbringen konnte. Dass er aufgeflogen ist, erfahren wir bereits im ersten Kapitel, in welchem er von einem Kriminalist befragt wird. Zum anderen lernen wir ab dem zweiten Kapitel die kleine Insel mit deren Natur und vielen ihrer kauzigen Bewohner kennen (das Inselpanorama).

Leider schöpft der Roman nicht ansatzweise das Potential aus, welches er zu Beginn noch durch die angedeuteten Möglichkeiten definitiv vorhanden war. Welch wunderbare Verwechslungsgeschichte hätte dies werden können, welch mitreißender Spannungsroman, welch tiefgründiges Abbild einer kleinen, vergessenen Inselgesellschaft, welch Roman mit dem Fokus auf die faszinierende Flora und Fauna dieser Adria-Insel. Aber leider hat der Autor all diese Bereiche nur leicht tangiert und keins davon mit Bravour gemeistert. Dem Roman geht der Fokus verloren. Das ist wirklich schade, ließen doch die wunderbare Aufmachung und der interessante Titel so viel erhoffen.

Die Qualität des Romans lässt im Verlauf immer mehr nach und damit fiel auch mein Interesse an der Geschichte immer stärker ab. Mir blieb die Hauptfigur viel zu flach und unausgeleuchtet, ebenso wurden mir dann ab der zweiten Hälfte noch zu viele neue Nebencharaktere eingeführt, die nur kurz erwähnt werden, aber gar keine große Rolle spielen. Die Handlung plätschert zunehmend so dahin. Für mich war letztlich vieles zu unemotional geschildert. Es gab zwar den ein oder anderen Moment, bei dem ich "drin" war, aber nie so richtig mitgefiebert habe. Dafür wurde irgendwie jede Anekdote um diese Inselbewohnerin oder jenen Fischer, dieses Kulturprojekt oder jene kapitalistische Ausbeutung zu schnell hintereinander abgearbeitet. Letztlich bleibt vollkommen offen, welche Geschichte mit welchem Fokus der Autor überhaupt erzählen bzw. den Lesenden näher bringen wollte. War ich zu Beginn noch gespannt, wohin die Reise literarisch geht, konnte mich der Roman spätestens ab der Hälfte aufgrund des fehlenden Fokus‘ nicht mehr fesseln und ich habe mich dann im letzten Viertel so richtig darüber geärgert. Auch geht meines Erachtens der vom Autor nach dem ersten bzw. vor dem letzten Kapitel angewandte Perspektivwechsel von der Ich-Perspektive des Ermittlers hin zu einer personalen Erzählperspektive im Mittelteil nicht auf. Der Mittelteil ist wie die Zeugenaussage von Jadran angelegt, dort gibt es aber Einblicke in die Köpfe der Inselbewohner und Geschehnisse, die Jadran so ausführlich nicht kennen kann.

Trotzdem freue ich mich, dass der Verlag diesen häufig übersehenen Teil Europas in den Blick nimmt und einen Titel aus der Region veröffentlicht hat. Wenn man also an dem wuseligen und gleichzeitig mitunter anachronistischen Leben auf einer kroatischen Adria-Insel interessiert ist und bibliophile Buchausgaben mag, könnte einem dieses Buch gefallen, welchem allerdings ein erneutes Lektorat gut zu Gesicht stehen würde, um Flüchtigkeitsfehler zu bereinigen.

Wenngleich ich auch vom Roman als solchen sehr enttäuscht bin, habe ich mich bei 2,5 Sternen bezogen auf die Romangeschichte dennoch für das „Aufrunden“ auf 3 Sterne entschieden. Das liegt allein an der Arbeit des Verlags, denn dieser hat dem Roman nicht nur eine wunderschöne Verpackung mit liebevollen Illustrationen auf dem Vorsatz, hochwertigem Papier sowie beim genaueren Hinsehen einer interessanten Schriftart gegeben, sondern auch mit dem deutschen Titel "Abtrünniger vor Inselpanorama" den Roman viel besser getroffen als es der Originaltitel "POP" schafft.

2,5/5 Sterne