Rezension

Eine Protagonistin aus der man nicht schlau wird, aber ein wirklich spannender Krimi, voller menschlicher Abgründe!

Die Ratte - Martin Wehrle

Die Ratte
von Martin Wehrle

Bewertet mit 4.5 Sternen

Achtung: Band 1 einer Reihe!

 

Susanne Mikula will nur eins: Chefredakteurin werden! Dafür ist sie bereit so ziemlich alles zu tun, sogar ihre beste Freundin zu feuern. Doch obwohl sie so viele Opfer bringt, die ihr sogar die Verachtung ihres Teenager-Sohnes einbringen, bringt ihr Chef sie mit einer hinterhältigen Intrige zu Fall. Sie verliert ihren Job und alles andere und kennt nur noch ein Ziel: Rache! Sie setzt fortan ihre Fähigkeiten als Journalistin ein, um ihren Ex-Chef zu Fall zu bringen. Niemals hätte sie gedacht, dass sie dabei auf ein Komplott unheimlichen Ausmaßes stoßen würde, inklusive eines potentiellen Mordes. Doch damit bringt sie sich auch in große Gefahr.

 

 

Der Aufbau des Buches ist anfangs nicht ganz einfach. Abwechselnd gibt es kursivgedruckte Seiten, die nur aus Dialogen bestehen. Vollkommen aus dem Zusammenhang der restlichen Handlung gerissen wird man da mit Szenen konfrontiert und diese Szenen sind immer brisant. Sie hängen alle zusammen und sind auch wichtig für die „normale“ Handlung, aber das weiß man anfangs nicht, weil sie nicht einfach die Fortsetzung eines Gesprächs sind, sondern Ausschnitte aus mehreren Gesprächen sind. Man wird zum Rätseln gezwungen und dadurch direkt in das Buch gezogen. Obwohl das anfangs verwirrend ist, fand ich das richtig toll. Ich mag es, wenn ein Buch andere Wege geht.

Dann gibt es noch kurze Szenen, in denen es um hohe Gebühren in der Stadt geht, in der das Buch spielt. Dazu kommen noch Tagebucheinträge und Artikel bzw. Schlagzeilen. Dadurch ist man ganz nah an der Handlung und spürt schon bald den Puls steigen, aus Wut, aus Hilflosigkeit und aus Furcht.

 

Susanne war auf den ersten Blick keine sympathische Protagonistin. Sie sendet pausenlos widersprüchliche Signale. Ein Beispiel: Ganz zu Beginn des Buches entlässt sie ihre beste Freundin. Ihr gegenüber erklärt sie die Maßnahme als die Idee ihres Chefs. Doch es war ihre. Sie hat beschlossen ihrer besten Freundin zu kündigen, nur um zu beweisen, dass sie stark und nicht sentimental ist. Den Blick stets auf das Ziel: ihren Wunschjob gerichtet. In diesem Moment denkt man, sie sei eiskalt und ein Miststück. Doch dann erfährt man von ihrem Trauma und als man das liest, hat man direkt Mitleid mit ihr. Und schon weiß man nicht mehr, was man von ihr halten soll. Ist diese Kälte ein Produkt dieses Vorfalls oder nur gespielt, um sich für den Job zu qualifizieren? 

Hier merkt man übrigens schön die Sozialkritik des Autors – die findet sich überall im Roman – eine Frau muss, um einen Chefposten zu bekommen rüberkommen wie ein Mann, sie darf nicht „sentimental“ oder „emotional“ sein. Sie muss sich auf eine bestimmte Art und Weise anziehen, damit sie ernstgenommen wird, ohne gleichzeitig als Freiwild oder „Schlampe“ angesehen zu werden, stattdessen ist die dann die „Eiskönigin“ oder ähnliches. Doch die Sozialkritik geht noch viel weiter. Ich möchte nicht spoilern, deswegen kann ich hier nicht ins Detail gehen.

 

In diesem Buch geht es um korrupte Politiker und Polizisten und eine Gesellschaft, die nur dem Stärksten zuhört. Durch die Intrige ihres Chefs verliert Susanne alles. Sie ist am Boden und ganz allein. Sie tut mir da wirklich schrecklich leid. Eine Intrige jagt die nächste, gefolgt von Rufmord und Demütigungen, die scheinbar nie aufhören. Man muss da echt aufpassen, dass man sich von dieser depressiven Stimmung mitreißen lässt. Es macht mich so wütend, was ich da lese! Aber gleichzeitig bin ich auch begeistert von der Art der Beschreibung. Es geht auch nicht nur gegen Susanne, es gibt auch andere Opfer, die teilweise massiv gemobbt werden. Es scheint den „Bösen“ egal zu sein, was sie ihren Opfern antun. 

 

Martin Wehrle reiht sie Ereignisse so aneinander, dass man immer gut folgen kann, obwohl er einem die Kursiven-Dialogszenen hinknallt, ohne Erklärung, ohne Zusammenhang. Man muss selbst mitdenken und kombinieren. Manchmal wird schnell klar, worum es dabei geht, manchmal dauert es sehr lange und manchmal hilft nur viel nachdenken und kombinieren.

 

Das Buch ist schonungslos. Es reißt einen aus der Komfortzone des eigenen Lebens und zwingt einen, darüber nachzudenken, ob der Autor recht haben könnte. Kann es sein, dass es solche Machenschaften auch in der Realität gibt? Dass wir einfach bislang nur Glück hatten, nicht in sie hineingezogen zu werden?

 

 

Fazit: Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist manchmal wirklich heftig und man muss echt aufpassen, um sich nicht von der Stimmung mitreißen zu lassen. Es ist ein sehr komplexes Buch aber nicht überfrachtet. Mir hat auch die Auflösung sehr gut gefallen. Das Buch ist stimmig und ich mag es sehr, dass das Buch keine Angst hat andere Wege zu gehen.

Zwischendrin ist es emotional echt belastend. Wie Menschen da kaputt gemacht werden, das ist nicht ohne. Wenn man das aber übersteht, lohnt es sich wirklich. Das Buch zwingt einen zu hinterfragen, zu kombinieren und auch das eigene Verhalten und Leben zu überdenken. Die zentrale Frage ist: wem glaubt man? Und diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Glaubt man Artikeln oder Posts im Internet? Glaubt man der Lokalpresse? Oder überregionalen Zeitungen? Glaubt man Freunden? Hinterfragen wir überhaupt was wir hören und lesen, oder schlucken wir brav alles, was uns vorgesetzt wird?

 

Ein ganz anderer Krimi mit teilweise wirklich heftigen emotionalen Magenschwingern und einer Protagonistin, bei der man einfach nicht weiß, ob man sie nun mag oder nicht. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es sich manchmal ein bisschen zieht, aber in meinen Augen, konnte das Buch die Spannung halten. Von mir bekommt es 4,5 Sterne.