Rezension

Eine Reise ins Ungewisse

Sommertöchter - Lisa-Maria Seydlitz

Sommertöchter
von Lisa-Maria Seydlitz

Acht Jahre nach dem Tod ihres Vaters erhält Juno einen anonymen Brief, der sie mit einem unerwarteten Erbe konfrontiert. Ihr soll fortan ein Fischerhaus in der Bretagne gehören, von dessen Existenz sie bis dato noch nicht einmal wusste. Ihre Mutter gibt sich nichtsahnend und unkooperativ. Also bleibt Juno nichts anderes übrig, als selbst nach Coulard zu reisen.

“Der Brief, frage ich, und ob sie die Schrift erkenne, ob ihr die Adresse etwas sage, ob wir Verwandte in Frankreich hätten, von denen ich nichts wisse, ob mein Vater etwas damit zu tun habe, seine ständigen Geschäftsreisen. Sie schüttelte den Kopf. Sie kenne kein Haus, das habe sie doch schon gesagt, sie wisse nicht, wo es stehe und seit wann es mir gehöre. Ich wusste, dass meine Mutter nicht die Wahrheit sagte.”

Zitat aus dem Buch

Dort angekommen muss Juno feststellen, dass sie nicht die einzige ist, die Interesse an dem Fischerhaus hat. Denn eine französische Kellnerin namens Julie hat sich im Haus eingenistet und der benachbarte Architekt Jan aus Deutschland ist dort auch öfter anzutreffen als ihr lieb ist.

Was als Reise ins Ungewisse beginnt, entpuppt sich als Ausflug in die Vergangenheit. Juno macht Entdeckungen, die sie ihr gesamtes Leben hinterfragen lassen. Plötzlich erfährt sie von einem anderen Leben des Vaters und ihre Wunden von damals beginnen erneut zu schmerzen.

Die Fassade der scheinbar idyllischen und glücklichen Kindheit beginnt zu bröckeln und Julie kommt nicht umhin sich der Vergangenheit zu stellen.

"Ich steige aus und bin nervös, als erwarte mich jemand, als säße jemand in der Bar, der mir meine Geschichte erzählen, meine Erinnerungen mit seinem Wissen auffüllen und so die Lücken schließen wolle, von denen ich erst seit ein paar Tagen vermute, dass es sie geben muss."

Zitat aus dem Buch

“Sommertöchter” ist ein unglaublich berührender Roman, der sich mit sehr leisen und sanften Tönen in dein Herz vortastet. Sehr behutsam schildert Seydlitz dem Leser mithilfe von Zeitsprüngen in Junos Kindheit was bereits hinter der jungen Frau liegt. Dem ausgelassenen Kind von damals ist eine nachdenkliche Frau gewichen. Eine natürliche Entwicklung, die mit der innigen Beziehung zum Vater und dessen plötzlicher Verhaltensveränderung zu erklären ist.

Mit dem Verlust des Vaters scheint sich auch in Junos Bewusstsein etwas verändert zu haben. Die Mutter, die fast krampfhaft versucht, die Erinnerungen an den Vater auszulöschen, hinterlässt bei Juno Unverständnis und noch mehr Trauer. Irgendwie verleiht es dem Roman etwas Verzweifeltes. An der Geschichte haftet daher irgendwie immer ein bisschen Traurigkeit, die man auf vielen Seiten förmlich spüren kann.

“Es sei vorbei, sagt sie, es sei Vergangenheit, wir müssten in die Zukunft schauen.”

Zitat aus dem Buch

Trotz der traurigen Thematik gelingt es der Autorin dem Roman etwas sehr Lebendiges und Hoffnungsvolles einzuhauchen. Beschreibungen werden zu Bildern, die wie Polaroid-Fotos vor deinem geistigen Auge vorbeischweben. Zeilen nehmen Farben und Gerüche an. Hoffnung wird zu deinem Wegbegleiter, der dich rüttelt und sagen möchte: that´s life, das Leben lohnt es sich dennoch zu leben. Denn wo sich eine Tür schließt, da öffnet sich eine andere. Mit Julie und Jan lässt Juno neue Menschen in ihr Leben einziehen und das Erbe des Hauses leitet eine neue Ära ein. Pinselstrich für Pinselstrich verleiht sie nicht nur dem Fischerhaus sondern auch ihrem Leben einen neuen Anstrich.

Der Autorin ist ein wirklich sehr emotionales und schönes Debüt gelungen. Es erzählt die Geschichte eines Endes und zugleich eines Neuanfangs und zeigt uns allen, dass man sich manchmal von Altem lösen muss um in der Gegenwart leben zu können. Auch wenn die ein oder andere Frage, die sich mir während des Lesens gestellt hat, unbeantwortet bleibt, kann ich das Buch vorbehaltlos weiterempfehlen. Vielleicht müssen manche Fragen auch ungeklärt bleiben.