Rezension

Eine Reise voller Hoffnung, eine Schiffsladung Schicksale

Über uns der Himmel, unter uns das Meer
von Jojo Moyes

Ein toller Schmöcker mit interessanten Charakteren, einem Teil wahrer Geschichte und vielen Gefühlen und besonderen Schicksalen wie wir es von der Autorin kennen. Dieser Roman ist aber noch eine Spur besonderer, weil die Grossmutter von Jojo Moyes selbst eine Kriegsbraut war und somit auch die Inspiration und das spezielle Band zu dieser Geschichte ist.

Der Schreibstil ist wunderbar angenehm und liest sich wie immer sehr fliessend. Sehr schön fand ich die Zitate am Anfang jedes Kapitels, die übrigens allesamt real sind. Auf den letzten Seiten werden dazu einige Quellennachweise aufgelistet, über Zeitungen von damals oder privaten Tagebüchern, die der Autorin zur Recherche zur Verfügung gestellt wurden. Diese Zitate passen nicht nur herrlich zu den jeweiligen Kapiteln und was als nächstes passiert auf dem Schiff, sondern spielen eine entscheidende Rolle für die Authentizität der Geschichte.

Zuerst scheint die Erzählung um die vier Frauen, deren Schicksale wir näher betrachten dürfen, erst ein wenig langatmig, die Geschichte braucht Aufbau, etwas Vorgeschichte und schliesslich passiert ja auf einem Schiff nicht wirklich viel. Nur die Weite des Horizontes und die Tiefe des Meeres bieten zwar eine atemberaubende, aber nicht die spannenste Kulisste. Für Ereignisse sorgen allerdings die sechshundert Frauen an Bord, die mit hunderten Männern (Soldaten, Kriegsrückkehrer, etc.) auf dem Flugzeugträger zusammengepfercht wurden. Die Frauen-Männer-Trennung ist dabei nicht nur Regeln, um die Männer nicht bei der Arbeit zu stören oder die Frauen vor gefährlichen Maschinenräumen zu schützen, sondern auch aus sittlichen Gründen, da die Geschichte ja 1946 spielt. Doch nicht nur gesellschaftliche Normen und Umgangsformen, sondern auch die Mischung der Besatzung bietet Spielraum für diverse Diskussionen. Schon die vier Hauptprotagonistinnen könnten kaum unterschiedlicher sein: Margaret (Maggie) ist die liebevolle, sympathische Farmerstochter, die zudem schwanger ist. Frances,die Krankenschwester, ist eher die stille, mysteriöse Begleiterin, deren Vergangenheit sie noch einholt und mich wirklich überrascht hat. Avice, eine verwöhnte junge Dame aus besserem Haus, die ziemlich zickig, aber auch unterhaltsam sein kann. Und dann noch Jean, die erst 16-jährige quirlige Braut, die alles aufmischt. Diese vier in die gleiche Kabine einquartiert verspricht schon viel Zunder und Unterhaltung. Auch Schicksale und Geschichten der Männer werden von der Autorin mit eingewoben, besonders die Vergangenheit von Henry Nicols, dessen Geschichte mit Frances mich sehr verzauberte, und auch der Kapitän des Schiffes, der mir gegen Ende immer sympathischer wurde.

Zugegeben, der Roman ist streckenweise (besonders anfangs und in der Hälfte) etwas langatmig, weil kaum Spannung aufkommt. Doch die Autorin hat noch viele Überraschungen parat und überzeugt ganz sicher jeden Zweifler am Schluss. Das Ende ist ein Feuerwerk der Gefühle, die Ankunft des Schiffes und der Moment der Wahrheit für viele Kriegsbräute. Nur soviel, ohne dass ich spoilern möchte: Nicht jede wird von ihrem sehnsüchtig erwarteten Ehemann freudig in die Arme geschlossen.

Obwohl die Verfilmung von "ein ganzes halbes Jahr" gerade aktuell in den Kinos läuft, möchte ich die beiden Bücher nicht miteinander vergleichen. Mir haben beide sehr gut gefallen, aber spielen in zwei ziemlich unterschiedlichen Genres trotz einiger Gemeinsamkeiten (Stichwort Liebesgeschichten und Frauenschicksale). Ich werde sicher wieder zu einem Buch von Jojo Moyes greifen, denn sie schafft es einfach immer, mich aus meinem Alltag zu ziehen, in fremde Welten zu entführen, mich mit dem Leben fiktiver Persönlichkeiten zu fesseln und mir die ein oder andere Träne in die Augen zu treiben...manchmal weil ich mitleide, manchmal weil es so schön ist.
 

4,5 / 5 Sterne