Rezension

Eine Sache der Perspektive.

Delirium - Lauren Oliver

Delirium
von Lauren Oliver

Bewertet mit 5 Sternen

Was hat mir an dem Buch gefallen?
Könnt ihr euch eine Welt ohne Liebe vorstellen? Ich nicht und deswegen fand ich es unglaublich spannend in Lenas Welt einzutauchen, in der Menschen im Alter von 18 Jahren gegen die Krankheit „Liebe“ immunisiert werden.
Lena steht kurz vor ihrem Schulabschluss und ihrem 18. Geburtstag. Das bedeutet, dass sie nach ein paar Tests bald einen Studiengang, sowie einen Partner zugeteilt bekommt. Für Lena ist das die normalste Sache der Welt. Genau wie die Immunisierung gegen die Krankheit Amor Deliria Nervosa. Sie kann es gar nicht mehr erwarten…
Dann aber passieren Dinge, die Lenas Leben für immer verändern…
Ich war von der ersten Seite an das Buch gefesselt. Lauren Oliver hat einen wirklich tollen Schreibstil. Sie kann mit nur wenigen Worte wunderschöne Bilder im Kopf erzeugen… allerdings schafft sie es in Delirium auch, den Leser zu erschrecken…
Man erfährt nicht viel von der Welt, in der Lena lebt, aber das was man mitbekommt ist schockierend. Den Menschen werden überall Grenzen gesetzt. Von der Musik bis hin zur Einzäunung der Stadt, in der sie Leben. Die Regierung setzt ihren Willen und ihre Regeln mit Gewalt durch, wenn es sein muss. So kommt es bei Razzien zu unschönen Szenen, bei denen man einfach nur mit dem Kopf schütteln kann  und sich fragt, wie man so etwas nur tun kann. An den Kapitelanfängen gibt es immer wieder Gedichtsauszüge und Textzeilen aus Büchern, die die Regierung erlaubt und die meistens alle darauf hinweisen, dass Liebe etwas Schlechtes ist…
Lena kennt nichts anderes als diese Welt, in  der „Liebe“ eine Krankheit und Grenzen nur zur Sicherheit da sind. Dementsprechend sind ihre Ansichten zu Beginn sehr befremdlich und als Leser kann man sich nicht gut in sie hineinversetzen. Dennoch ist sie mir sehr schnell sympathisch gewesen und ich habe mir die ganze Zeit für sie gewünscht, dass sie erkennt, das Liebe etwas Schönes ist und dass sie gegen die Grenzen, die ihr gesetzt werden, aufbegehren soll. 
Hana, Lenas beste Freundin, ist anders. Das merkt man gleich zu Beginn, als sie Lena geheimnisvolle Sachen ins Ohr flüstert. Man merkt, dass sie sich nicht an die Gesellschaft anpassen will. Lena will das natürlich nicht sehen und sie kann es anfangs auch gar nicht. Als sie die Wahrheit erfährt, ist sie schockiert und ihr Verhältnis zu Hana verschlechtert sich stark. Zwischen den beiden kam es immer wieder zu Szenen, bei denen ich über Lenas Einstellungen nur den Kopf schütteln konnte. Wie gesagt, sie sieht die Dinge anders…
Als Lena Alex kennenlernt, ist sie erst mal total überfordert. Sie hat noch nie wirklich mit einem Jungen gesprochen, geschweige denn einen berührt. Entsprechend ihrer Erziehung und ihren Einstellungen entwickelt sich die Beziehung zu Alex nur ganz langsam. Das fand ich sehr überzeugend, denn wenn er es innerhalb von nur ein paar Tagen geschafft hätte, Lenas bisherige Meinung komplett über den Haufen zu werfen, dann hätte ich das sehr… übertrieben gefunden. So müssen sich die beiden langsam aneinander gewöhnen und antasten. Dass Alex Lena bezüglich seines „Zustandes“ belügt, erzeugt einen Knick in der Beziehung, aber dieser Knick ist letzten Endes ein ganz wichtiger Wendepunkt für Lena. Alex zeigt Lena Dinge, die sie eigentlich nicht kennen und über die sie nichts wissen dürfte. Durch diese Erfahrungen entwickelt sich Lena aber weiter und ich saß da und konnte nicht aufhören, ihr in meinem Kopf gut zuzureden und ihr  zu helfen, das alles zu verstehen. Lena und Alex sind mir sehr ans Herz gewachsen. Vor allem Alex, der mit Geduld Lenas Horizont erweitert und ihr hilft, wo er nur kann.
Lenas Entwicklung ist holprig, aber bei jedem „Fortschritt“ habe ich mich sehr gefreut. Ich habe mich auch gefreut, dass Lena und Alex es trotz aller schwierigen Umstände schaffen, sich gegenseitig Halt zu geben.  Ich hätte auch einen Jubelschrei ausstoßen können, als Lena jenes „verschriene“ und Angst machende Wort sagt, ohne sich zu fürchten… Ich bin aber auch immer wütender auf die Regierung und das System geworden, denn immer mehr erschreckende Details tauchen auf…
… bis hin zu einer Wendung, mit der ich nicht gerechnet habe. Am allerwenigsten aber Lena und diese Wendung gibt ihr noch einmal einen „Schubs“ nach vorn, Richtung Wahrheit… und immer näher an eine Entscheidung, die alles verändern wird!
Delirium hat keine anhaltende Spannung, es gibt immer wieder Höhepunkte, aber auch Phasen dazwischen, in denen nichts aufregendes, aber nicht weniger mitreißendes passiert. Ich konnte das Buch jedenfalls kaum aus der Hand legen!
Ich will nicht zu viele Details verraten, deswegen mache ich an dieser Stelle Schluss mit Inhaltsangaben ;)  Ich kann euch aber verraten, dass das Ende spannend, emotional und atemberaubend ist.
Ich kann es kaum erwarten, den zweiten Teil zu lesen!

Was hat mir an dem Buch nicht so gut gefallen?

Nun, ich hätte mir gewünscht, mehr über die Geschichte des Landes, als auch über die Immunisierung zu erfahren. Die Geschichte ist für die Handlung eigentlich nicht so wichtig, aber da die ganze Zeit nur über die Immunisierung gesprochen wird, hätte ich doch gerne mal gewusst, wie genau sie abläuft, was da gespritzt wird, was mit den Menschen passiert… Meistens bekommt man nur kurze Schilderungen oder man bekommt nur das Ergebnis vorgehalten: Den immunisierten Menschen, der total abgestumpft scheint. Wahrscheinlich zieht die Erklärung umfangreiche  und sehr fachspezifische Schilderungen nach sich, aber ich, die Bio studiert, hätte da doch gerne mehr gewusst! Ich hoffe einfach mal auf den zweiten Band… bzw den dritten :)
Leider werden in „Delirium“ noch so viele andere Fragen aufgeworfen, die es zu klären gilt und die das Warten auf den Folgeband sehr schwierig machen. Ja ich weiß, wenn alle Fragen gelöst wären, dann wär nichts mehr für den Folgeband übrig geblieben… aber trotzdem ;)

Fazit
Delirium bietet dem Leser sehr viel.  Eine gut umgesetzte Idee, tiefgründige und vielfältige Charaktere, eine nicht immer spannende aber auf jeden Fall mitreißende Handlung und eine zugleich erschreckende und faszinierende Welt… je nachdem, aus welchem Winkel man sie betrachtet…
Delirium wird vor allem denjenigen gefallen, die „Die Auswahl“, „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ und „Totentöchter“ bereits verschlungen und gemocht haben. Für „Die Tribute von Panem“ Liebhabern könnte die Handlung zu „unaufregend“ sein. Delirium ist aber einen Versuch wert ;)