Rezension

Eine schwermütige Geschichte über Verlust und Vergebung ...

Alles okay - Nina LaCour

Alles okay
von Nina LaCour

Bewertet mit 3.5 Sternen

Für mich war das Trauern unkompliziert. Leise. In der Schulsprechstunde fragte Schwester Josephine einmal meinen Großvater, ob er mit mir über meien Mutter spreche. "Nur wenn wir uns an die Verstorbenen erinnern, können wir über ihren Verlust hinwegkommen", sagte sie. (Seite 32/33)

Bewertung:
"Wer schreibt, dem wird geschrieben", sagte er.
(Marin über Gramps, Seite 35)

Das Cover sehr ansprechend, wenn auch zum Thema nicht ganz so passend. Hier leuchtet mein Warnsignal etwas auf, wenn ich das halbnackte Mädel mit der schlanken Figur betrachte. Spiegelt wieder unsere Gesellschaft mit ihrem Schönheitsideal und dem Sexualisieren (wegen der Halbnacktheit) wieder. Allerdings passt es zur poetischen Sprache der Geschichte. Der Inhalt wird zeigen, ob es wirklich entsprechend ist ... Ich finde es sehr schade, dass hier nicht der Original-Titel genommen wurde: "We are okay" - stattdessen wird es zu "Alles okay" umgewandelt. Bescheuert! Andererseits ist das sehr gut überlegt, denn schon der erste Satz beinhaltet den Titel: "Bevor Hannah ging, fragte sie noch einmal, ob wirklich alles okay sei." Raffiniert, das gebe ich zu! :-D

Ein Lächeln voller Bedeutung, das alles sagt, was zu sagen ist, damit ich es nicht sagen muss.
(Seite 13)

Hallo? Wer wünscht sich denn nicht so eine standhafte und loyale Freundin wie Mabel? Die nichts erschüttert und Marin treu ergeben ist? So eine Zuneigung ist selten und berührt mich hier ungemein. Für mich hat der Abschnitt eine ausgewogene Schwermut durch die Rückblenden, und auch wenn nicht, ich komme mit viel Traurigkeit zurecht. Marin ist mir nicht immer verständlich in ihren Handlungen, z.B. übertreibt sie es schon etwas, indem sie gleich die ganzen Zettel von der Pinnwand nimmt und sie in die Mülleimer verteilt. Nicht nur, dass sie sie einfach in einen Mülleimer hätte werfen können ... sie hätte die Zettel doch einfach hängen lassen können oder sie an Hannas Pinwand pinnen können. Gramps ist für meine Geschmack egoistisch, was aber siener Trauer geschuldet ist. Er nimmt Marin viel weg, was ihm selbst nicht klar ist. Mabel selbst merkt das erst nach seinem Tod, erst dann wird deutlich, was für einen Verlust sie wirklich erlitten hat. Auch hinterlässt bei mir seine Entscheidungen an seinem Todestag, ein säuerliches Gefühl! Wie kann er sich so Maren gegenüber verhalten - Trauer hin oder her? Leider sieht so die Wahrheit oft aus, Dass Menschen in ihrer Trauer nur an sich denken und nicht daran, was sie anderen antun - daher finde ich das alles sehr glaubwürdig von der Autorin geschrieben. 

"(...) Aber egal, wo wir leben, irgendwie muss das Leben zu Ende gehen. Irgendwas gibt uns immer den Rest."
(Gramps, Seite 131)

Der Schreibstil ist leicht zu lesen und mit leichter Poesie gespickt. Die Rückblenden zu Marins Zuhause und Grampa (übrigens echt süßer Spitzname - ich bin begeistert!), gefallen mir sehr gut. Es ist auch nicht verwirrend, die Sprünge zwischen dort und dem Colleg-Jetzt zu diffrenzieren. Die Autorin schwingt abwechselnd hin und her, was sehr geordnet wirkt. Die Atmosphäre ist sehr betrübt, in den Rückblenden vor Gramps Tod, gibt es ein paar heitere und witzige Szenen. Ansonsten zieht sich die Trauerstimmung durch die ganze Geschichte. Die Aufklärung, was in der Zeit von Gramps Tod passiert ist, erzählt Marin erst am Schluss der Geschichte. Bis dahin liest man in den Rückblenden von den Tagen davor. Die Autorin gibt uns sozusagen Stück für Stück Vergangenheit, während der Gegenwart.

"(...) Sei kein Mensch, der nach Traurigkeit strebt. Davon gibt es im Leben genug."
(Taxifahrer, Seite 80)

Obwohl ich traurige Bücher sehr gut lesen kann, ist es mir hier etwas schwer gefallen, was wohl teilweise an mir lag. Mir ging es nicht besonders gut, da hat das Buch zusätzlich gedrückt. Ich musste immer wieder pausieren, weil es mir zu viel wurde. Die Beziehung zwischen Marin und Mabel ist fein und emotional konstruiert und geht zu Herzen. Das Ende ist nicht richtig geschlossen, sondern lässt Raum für Spekulationen, was zur Geschichte sehr gut passt. Marens Gefühle Gramps gegenüber sind gerade in der Zeit nach seinem Tod besonders intensiv spürbar. Mir fehlt hier allerdings der Abschluss, die Akzeptanz zu ihren Gefühlen, es endet so abprupt. Der Titel zog sich durch die gesamte Geschichte in meinem Kopf mit, die Handlungsstränge assozierten ihn immer wieder. 

Wir sehnten uns jetzt schon nach der Zeit zurück, die noch gar nicht vergangen war.
(Seite 25)

Fazit:
Tief traurig erzählt die Autorin von Verlust und Vergebung, viel zu schwermütig, aber sehr realistisch umgesetzt! Neben der aufgeführten Kritikpunkte fehlt mir hier das gewisse Etwas, leider. Ein Buch, das für mich besonders ist, ich aber nicht nochmal lesen muss. Ich vergebe hier 3,5 Sterne. Für Leser, die Schwermut und tief traurige Geschichten vertragen ein gutes Buch.

"Je komplizierter, desto besser", sagte ich.
Mabel drehte sich zu mir um. "Warte mal. Wie bitte? Je komplizierter, desto besser ?"
"Natürlich! Darum geht es doch in der Geschichte. Wir können nach der Wahrheit suchen, und wir können uns für eine Deutung entscheiden, aber wir können nie wissen, was die eigentliche Bedeutung ist."
(Seite 26/27)

 

Vielen lieben Dank an das wasliestdu-Team und dem Carl Hanser Verlag für das bereitgestellte Leseexemplar und die Möglichkeit zur Leserunde. :-)