Rezension

Eine sehr bewegende Liebesgeschichte

Auf der Suche nach dem Kolibri - Ava Dellaira

Auf der Suche nach dem Kolibri
von Ava Dellaira

Inhalt:
Marilyn steckt voller Träume. Irgendwann möchte sie auf eine Uni gehen, um danach Fotografin zu werden. Ihre Mutter Sylvie hat ganz andere Pläne für sie. Marilyn soll als Modell groß rauskommen. Überall erzählt Sylvie herum, dass ihre Tochter Schauspielerin ist und für Werbeaufnahmen gecastet wird. Mit den Gagen ihrer Tochter möchte die Mutter der Armut entkommen, sich ein schönes Haus mit Pool kaufen und glücklich werden. Bis es soweit ist, zieht Sylvie mit ihrer Tochter nach L.A. zu Onkel Woody. Beim Ausräumen der Umzugskartons treffen sie auf James, der ebenfalls mit seinen Großeltern und seinem Bruder in dem Wohnkomplex beheimatet ist. Sylvie bittet den jungen Mann um Hilfe. Sie selbst zieht sich in das Haus zurück. Letztlich ist es Marilyn, die gemeinsam mit James den Einzug stemmt. Beide kommen sich bei dieser Gelegenheit näher und plötzlich ist geteiltes Leid doppelte Freude.
Jahre später: Marilyn hat ihre Pläne ein College zu besuchen, um Fotografin zu werden, aufgeben müsssen. Stattdessen hat sie ein zauberhaftes Kind bekommen. Die junge Frau versucht alles, um es ihrer Tochter Angie recht zu machen. Sie will Angie ein sorgenfreies Leben ermöglichen. Sie soll aufs College gehen können. Angie lässt jedoch der Gedanke an ihre Vaterlosigkeit nicht mehr los. Immer wieder wird sie auf ihre Hautfarbe angesprochen, die anders als die ihrer Mutter, dunkle Nuancen aufweist.
Marilyn hat ihr erzählt, dass James und sein Bruder bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Doch ein Musikvideo, welches von einem Justin Bell produziert wurde, weckt Angies Neugierde. Dieser Name triggert sie angesichts der Namensgleichheit des Produzenten mit ihrem Onkel. Lebenszeichen oder Zufall? Kurzerhand fährt Angie zu ihrem Ex-Freund. Sie bittet ihn, sie nach L.A. mitzunehmen. Sam ist nicht begeistert, denn er hat die Trennung von Angie noch lange nicht verkraftet. Dennoch willigt er ein. Es beginnt ein spektakuläres Abenteuer. Wird Angie in einer so großen Stadt wie L.A. mit diesen wenigen Hinweisen auf ihren Onkel Erfolg haben können?

Im Detail:
Ava Dellaira erzählt ihre Geschichte zweier Frauen auf der Suche. Der Leser begleitet zum einen die junge Marilyn, die voller Wünsche und Sehnsüchte steckt. Sie möchte irgendwann einmal Fotografin werden. Bis dahin bedient sie sich einer imaginären Kamera. Mit Zeigefinger und Daumen beider Hände, bildet sie ein Quadrat und versucht darin schöne Momente einzufangen; mit einem Blinzeln der Augen betätigt sie den Auslöser. Diese „Gedankenbilder“ versucht Marilyn fest in ihrem Kopf einzuspeichern und nicht mehr zu vergessen.
Marilyns Mutter sucht die Chance mit ihrer Tochter die Verwirklichung ihrer Träume zu wahren.
Sie träumt von einem Leben in einem Luxushaus. Die Tochter soll mit Werbefotografien das Geld dazu eintreiben. Sylvie und Marilyn wandern von einem Casting zum anderen. Die Tochter muss sich kalorienarm ernähren und ist nach einer Mahlzeit oft noch gar nicht richtig satt. Der Umzug zum Onkel macht alles nicht besser. Denn Woody ist der Spielsucht verfallen. Mit Onlinepoker und Kasinobesuchen verdient er sich seinen Lebensunterhalt. An schlechten Abenden greift er zum Alkohol und pöbelt herum. Es ist besser ihn an solchen Tagen zu meiden, das hat Marilyn schnell raus. Doch etwas Gutes hat dieser Umzug nach L.A. auch. Denn schon am ersten Tag lernt Marilyn den dunkelhäutigen James kennen. 
James ist, im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Justin, eher verschlossen. Und dennoch kommen sich Marilyn und er näher. Sie verbringen Zeit miteinander und schaffen Erlebnisse. Marilyn fühlt sich in James Gegenwart wohl. Seine Familie ist so ganz anders als ihre eigene. Die Großeltern sind herzlich, ihre Tür steht immer offen für Marilyns spontane Besuche. Doch gerade in dem Moment, in dem James und Marilyn anfangen Pläne für die Zukunft zu schmieden, passiert etwas, was ihr Leben für immer verändern wird.
Der zweite Handlungsstrang der Geschichte beschäftigt sich mit Angie, Marilyns Tochter. Angie ist sich sicher, dass ihre Mutter ihr nicht die Wahrheit erzählt hat, was ihren Vater angeht. Kurzerhand beschließt sie eigene Recherchen anzustellen. Hierzu benötigt sie jedoch Hilfe. Leider ist Sam, ihr Ex-Freund, die einzige Option sie nach L.A. zu fahren.
Ava Dellaira verwebt in ihrem Werk die Geschichten zweier Frauen, die sich der Verfolgung ihrer sich selbst gesetzten Lebensziele verschrieben haben. Auch die Erfahrung mit dem latenten Rassismus der us-amerikanischen Gesellschaft ist ein Thema. Am Zusammenspiel der Figuren zeigt Ava Dellaira meisterhaft Alltagsrassismus. Dabei reduziert die Autorin ihre Darstellung auf die reine Präsentation und lässt sich zu keinerlei Kommentar hinreißen.
Die Autorin legt den Fokus jedoch nicht nur auf die Hauptfiguren. Geschickt haucht sie den Nebenfiguren Leben ein und lässt sie dem Leser ans Herz wachsen. Mein besonderer Liebling in der Geschichte war James Bruder, Justin, der mit seiner lebendigen Art nicht nur Marilyns Herz für sich gewinnen konnte. Aber auch James und Justins Großeltern hätte ich gerne einmal im realen Leben kennengelernt. Woody wiederum ist wie geboren zum Antihelden.

Fazit:
Eine Liebesgeschichte, die ein Echo im Herzen weckt. Ava Dellaira zeigt mit, „Auf der Suche nach dem Kolibri“, dass auch Liebesgeschichten spannend sein können. Denn wenn es um Liebe geht, ist Hass nicht fern. Der Roman beschäftigt sich mit zwei Frauen auf der Suche. Die eine mit Zukunftsvisionen, die andere auf der Suche nach Antworten in ihrer Vergangenheit.
Ohne erhobenen Zeigefinger und ohne Sendungsbewusstsein schreibt Dellaira von den Abgründen und Sonnenseiten menschlichen Seins. Um die Protagonistinnen ranken sich skurrile, liebenswerte und zum Teil vom Schmerz zerfressene Figuren.
Ein starkes Stück Literatur ist schließlich das Ende des Romans, das wie ein Paukenschlag erscheint und einen fast ratlos zurücklässt.
Von mir gibt es eine volle Leseempfehlung für dieses Buch.

Buchzitate:
Marilyn geht nicht mehr duschen an diesem Abend, sie will das Meer nicht abwaschen, jenen stummen Beweis, dass sie zumindest für einen Nachmittag einen Platz in der Welt hatte.

Er bietet ihr seinen Pulli an, und sie zieht ihn sich über den Kopf – er ist so groß, dass sie angenehm darin versinkt. Sie atmet seinen Duft ein, der sich mit der salzigen Meeresbrise mischt, und hat endlich das Gefühl, wieder Luft zu bekommen.