Rezension

Eine spannende Horrornovelle mit einem "hard boiled"-Setting

In der Haut des Wolfes - George R. R. Martin

In der Haut des Wolfes
von George R. R. Martin

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt: Chicago, Ende der 1980er Jahre. Eine Reihe bestialischer Morde ereignet sich in der Stadt. Die Opfer sind grausig entstellt, scheinbar von einem wilden Tier angefallen worden. Als die Freundin von Willie ebenfalls tot aufgefunden wird, wendet sich dieser an die befreundete Privatdetektivin Randi mit der Bitte, den Fall aufzuklären. Randi fühlt sich sofort 20 Jahre in die Vergangenheit versetzt: Ihr Vater, ein Polizist, starb unter mysteriösen Umständen. Auch er wurde – scheinbar – von einem Tier getötet. Hängen die aktuellen Mordfälle mit dem Tod von Randis Vater zusammen? Handelt es sich um das gleiche Tier? Oder steckt noch viel mehr dahinter?

Persönliche Meinung: „In der Haut des Wolfes“ ist eine Horrornovelle von George R. R. Martin. Sie erschien zuerst 1989 in der Anthologie „Nightvisions“; 2014 wurde die Novelle vom Festa Verlag neu aufgelegt. Erzählt wird die Novelle wechselweise aus den Perspektiven von Randi und Willie, die beide Tendenzen eines hard boiled-Detectives besitzen. Randi, die genretypische Privatdetektivin, schreckt nicht vor unorthodoxen Methoden zurück und versucht sich in einem von Männern dominierten Berufsfeld durchzuschlagen. Auch der von Asthma geplagte Willie nutzt eher abweichende Ermittlungsmethoden (Zwar ist er nominell nicht die primäre Ermittlerfigur, allerdings ermittelt er auf eigene Faust parallel zu Randi, da er ein Geheimnis vor ihr bewahren möchte). Gleichzeitig hat er oft einen sexuell aufgeladenen Spruch auf den Lippen, verbrennt sich damit aber immer wieder – zumindest bei Randi – die Finger. Auch der Handlungsort, das Chicago „In der Haut des Wolfes“, ist „hard boiled“. Es wirkt menschenleer, Gebäude sind verlassen oder zweckentfremdet, sogar in den Selbstbedienungsrestaurants huschen nur Schatten umher, alles scheint farblos, Ton-in-Ton, sodass eine bedrückende Atmosphäre entsteht. Außerdem erhält der Handlungsort – trotz der Kürze der Novelle – eine kleine, zur Handlung passende Hintergrundgeschichte, was mir sehr gut gefallen hat. „In der Haut des Wolfes“ geht aber über die Grenzen der „hard boiled“-Literatur hinaus. Kern der Novelle ist eine Horrorgeschichte, in deren Fokus Werwölfe stehen, die hier nicht nach Fantasymustern funktionieren, sondern hauptsächlich als blutrünstige, wilde Bestien auftreten. Die Handlung selbst ist komplexer als man zunächst vermutet, mehrfach kommt es zu überraschenden Wendungen und auch die Frage nach dem Täter gestaltet sich schwieriger als gedacht, was auch mit den Hauch Mystery, der später durch die Handlung schwebt, zusammenhängt. Martins Erzählstil ist „In der Haut des Wolfes“ reduzierter, ungeschönter und weniger ausschmückend als bei „Game of Thrones“, was sehr gut zum hard boiled-Setting passt. Abgerundet wird die Festa-Ausgabe mit 16 Illustrationen von Timo Wuerz, die die Atmosphäre der Novelle sehr gut einfangen, und einem Nachwort von Christian Enders, das sich überblicksartig mit dem Leben George R. R. Martins beschäftigt. Insgesamt ist „In der Haut des Wolfes“ eine spannende hard boiled-Horrornovelle, die die Werwolf-Thematik aus einem interessanten alternativen Blickwinkel betrachtet und atmosphärisch dicht erzählt wird.