Rezension

Eine spannende Suche nach Antworten

Aquila - Ursula Poznanski

Aquila
von Ursula Poznanski

Bewertet mit 4 Sternen

Stellt euch vor, ihr wacht eines Vormittags verkatert in eurem Bett auf. Im ersten Moment wisst ihr nicht wo ihr seid. Doch dann erinnert ihr euch, dass ihr vor einigen Wochen nach Siena gezogen seid, um in der italienischen Stadt Kunst zu studieren. Die Party gestern Abend muss ganz schön heftig gewesen sein, vermutet ihr, denn nicht nur euer Kopf pocht wie wild, auch der Rest eures Körpers fühlt sich so an, als wäre er einmal durch den Fleischwolf gedreht worden. Ihr versucht euch an den gestrigen Abend zu erinnern, wisst, dass ihr mit eurer Mitbewohnerin zusammen die Wohnung verlassen habt, doch dann? Was ist danach passiert? 

Ihr rappelt euch auf, schlurft ins Bad und haltet vor dem Badezimmerspiegel inne. Irgendjemand hat eine merkwürdige Botschaft auf die Scheibe geschrieben. Vielleicht eure Mitbewohnerin Jenny? Ob sie auch so verkatert aufgewacht ist wie ihr? Ihr schaut nach, doch Jenny ist nicht da, ihr Bett ist unberührt. Ihr trottet zurück in euer Zimmer, wollt Jenny eine Nachricht schicken, aber wo ist euer Handy? Nicht nur das scheint verschwunden, auch euer Schlüssel und – noch schlimmer – euer Pass sind nicht auffindbar. Wenn ihr dann zur Wohnungstür eilt, feststellt, dass diese abgeschlossen ist und ihr schließlich in Panik ausbrecht, dann seid ihr genau in der Situation angekommen, in der sich die Protagonistin Nika zu Beginn des Thrillers AQUILA befindet.

Ich bin begeistert von dieser Idee und diesem gruseligen Szenario, mit dem mich die Autorin Ursula Poznanski direkt auf der ersten Seite abgeholt hat. Was soll Nika tun? Die Lage spitzt sich zu, als die junge Frau feststellt, dass bereits Dienstag und nicht, wie vermutet, Sonntag ist. Ihr fehlen die Erinnerungen an 2 volle Tage und 3 Nächte. Was ist bloß passiert? Und was haben die merkwürdigen Kritzeleien auf dem Flyer zu bedeuten, den Nika in ihrer Hosentasche findet? Sie selbst scheint die Notizen gemacht zu haben, doch erinnern kann sie sich daran nicht.

Es beginnt eine spannende Suche nach Antworten, die nicht nur Nika, sondern auch mich als Leserin, immer näher an eine Wahrheit heranführt, die nicht nur absolut unglaublich sondern auch unheimlich angsteinflößend ist. Nika gerät in einen sich unaufhaltsam weiterdrehenden Strudel aus Ereignissen, der sie immer tiefer in die grausamen Abgründe ihrer Erinnerungen hinabzieht und dabei an die dunkelsten Orte Sienas führt. Allein in der fremden Stadt braucht Nika bald Hilfe, doch wem soll sie sich anvertrauen? Wer nimmt sie und ihre Ängste ernst? Schnell wird klar, dass sie sich in der Zeit ihres Blackouts sehr merkwürdig und ungewöhnlich aggressiv verhalten hat. Ihre Kommilitonen gehen deshalb lieber auf Abstand. Ist Nika vielleicht gar nicht Opfer, sondern Täter? 

Ich bin ein großer Fan solcher Psychospielchen und liebe es, als Leserin genauso im Dunkeln zu tappen wie die Protagonistin selbst. So konnte ich im Laufe der Geschichte meine ganz eigenen Theorien aufstellen, habe mitgerätselt und mir die unmöglichsten Szenarien ausgemalt. Mir blieb auch gar nichts anderes übrig, denn Ursula Poznanski versteht es unwahrscheinlich gut, ihre Leser in ihre Bücher hineinzuziehen und sie erst wieder freizugeben, wenn sie die letzte Seite gelesen haben.

Auch, wenn ich mit Nika nicht zu 100% warm wurde und für manch einen Alleingang absolut kein Verständnis aufbringen konnte, hing ich gebannt an ihren Fersen. Früher als erwartet begann ein rasanter Showdown, der mich mit einer Auflösung konfrontierte, über die sich streiten lässt. Für mich gilt häufig das Motto „Weniger ist Mehr“, weshalb mich das sehr aufgeblasene Ende nicht ganz überzeugen konnte. Es ist natürlich nicht komplett an den Haaren herbeigezogen, doch mir wären sowohl eine weniger dramatische Erklärung als auch etwas reduziertere Ereignisse lieber gewesen.

Trotzdem hat mich AQUILA sehr gut unterhalten und mir aufregende Lesestunden beschert. Für mich war der Griff zu AQUILA somit ein gelungener Start ins Lesejahr 2018 und ich bin gespannt, welche Leseschätze ich in den kommenden Wochen und Monaten noch entdecken werde.