Rezension

Eine spannende Zukunftsvision, die gar nicht so abwegig erscheint…

Deleted - Margit Ruile

Deleted
von Margit Ruile

Bewertet mit 4 Sternen

Wir lesen elektronische Bücher, bewegen uns mit 3D-Brillen auf der Nase durch virtuelle Räume oder lassen sogar von Kühlschrank selbst die Bestellung für die nächsten Mahlzeiten an den Supermarkt übermitteln. Was aber passiert, wenn die Maschinen uns so ähnlich werden, dass wir sie für unsere Freunde halten oder gar nicht merken, wie sehr sie unser Leben bestimmen und überwachen?

Solch ein Szenario hat Margit Ruile für ihren neuen Jugend-SciFi-Roman »Deleted. Traue niemandem« aufgegriffen, der am 31. März beim arsEdition-Imprint Bloomoon erscheinen wird. Die Autorin ist mir ganz und gar nicht unbekannt. Ihre Kinderbuchreihe rund um das clevere, mutige Mädchen Mira habe ich gemeinsam mit meiner Tochter verschlungen und sehr geliebt. Umso gespannter war ich, nun etwas ganz Neues aus ihrer Feder zu lesen. Doch nicht nur eine neue Thematik steckt hinter dem futuristisch aussehenden Cover, das Jugendbuch richtet sich auch an eine völlig andere Zielgruppe als die Trilogie. »Deleted. Traue niemanden« ist eine Geschichte für junge Leser ab 12 Jahren, die sich für die Technologie der Zukunft interessieren. Das Cover gibt schon einen kleinen Vorgeschmack auf die technologische Komponente des Plots, den Margit Ruile mit ihrer typischen, intensiven Schreibe lebendig werden ließ.

Wie schon bei ihrer Kinderbuchtrilogie merkt man der Autorin ihre jahrelange Expertise als Drehbuchautorin und Regisseurin an. Sie schreibt sehr bildhaft, intensiv und farbig. Ein wunderbarer Schreibstil, der mich tief zwischen die Seiten zog und bis zum letzten Wort nicht mehr losließ. Schon nach wenigen Minuten war ich mitten in diesem schon ziemlich beängstigenden Szenario gefangen und stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wären 24h am Tag Kameralinsen auf mich gerichtet – selbst in meinen eigenen vier Wänden! Als Fotografin bewege ich mich stets hinter der Kamera und mag es nicht besonders, Fotomotiv zu sein. Und nun stelle man sich einmal vor, man würde auf Schritt und Tritt verfolgt werden, während gleichzeitig Sensoren jede Bewegung, jeden Herzschlag und jedes Unwohlsein aufzeichnen und bewerten würden. Ich könnte nachts nicht mehr ruhig schlafen.

Eine spannende Zukunftsvision, die gar nicht so abwegig erscheint…

Nicht anders geht es Protagonist Ben, der seinen persönlichen “Holosklaven” zunächst als Freund betrachtet. Immerhin trägt er ihn von Kindesbeinen an bei sich, oder vielmehr hautnah an sich. Diese kleine Maschine im Taschenformat weiß alles über den Jungen, doch wie geht sie mit den Daten um? Das ist die Frage, der wir in »Deleted. Traue niemandem« auf den Grund gehen. Ich muss zugeben, die Ich-Perspektive und ich, wir führen eine schwierige Lesebeziehung. Normalerweise stehen wir auf Kriegsfuß miteinander, doch Margit Ruile hat meine Bedenken wieder einmal in Luft aufgelöst.

Ein Blick in eine mögliche Zukunft.

Aufgebaut wie ein Tagebuch, schildert Ben sein Leben inmitten dieser futuristischen Überwachungsgesellschaft im Berlin des Jahres 2035. Die in der Vergangenheit liegende Haupthandlung wird dabei durch kursiv geschriebene Dialogpassagen unterbrochen. In diesen speziellen Textabschnitten spricht mich Ben direkt an und erklärt mir Begrifflichkeiten, die ich seiner Meinung nach mit meinem Wissensstand von 2015 noch nicht verstehen kann. Amüsant!
Ein ums andere Mal musste ich wirklich schmunzeln, an anderer Stelle wurde ich jedoch auch sehr nachdenklich. Manches davon ist bereits Teil unserer gegenwärtigen Lebens und vieles davon auf seine Weise sehr nützlich: Gesichtserkennung, Fingerabdruckscanner, Ortungssysteme, Infrarotsensoren – um nur einige Beispiele zu nennen. Doch es ist immer eine Frage, wie man diese technischen Errungenschaften für sich nutzt und damit umgeht. Ein völliges Verdammen von Technik ist genauso wenig sinnvoll wie das ausschließliche Nutzen derselbigen. Bestes Beispiel im Buch: Ben hat dieses Hochgefühl, ein echtes Buch in der Hand zu halten, darin zu blättern und den Duft des Papiers einzuatmen, nie kennengelernt. Das stelle man sich einmal vor! Ein Leben ohne echte Bücher, ohne dieses griffige Gefühl von Papier?! Das möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Allerdings muss ich sagen, dass mir manche Entscheidungsfindungen des Protagonisten ein wenig zu schnell vonstatten ging. Es würde zu sehr spoilern, Näheres an dieser Stelle zu erwähnen. Vielleicht empfindet ein junger Leser dies nicht so, doch mir als Erwachsenen erschloss sich stellenweise nicht, warum Ben zeitweise meines Eindrucks nach zwar durchaus logisch, aber übereilt und unüberlegt handelte. An dieser Stelle möchte ich die Beurteilung dieses Verhaltens jedoch der Zielgruppe überlassen. Vielleicht liest ja meine Tochter demnächst »Deleted. Traue niemandem« – sie deutete zumindest schon an, dass sie sich für diese Thematik sehr interessiert. Anschließend kann ich ihr Feedback gern hier wiedergeben.

Wiedererkannt!

Zurück zur Erzählperspektive: Gerade eben diese Interaktion mit dem Protagonisten aus der Zukunft fand ich überaus interessant, spannend und für die Story ungemein auflockernd. Margit Ruile begleitet unsere Leserunde persönlich und teilte mit, dass diese Art der Schreibe genau ihr Ding ist. Ursprünglich war dieser Jugend-SciFi-Roman als Drehbuch für einen Film konzipiert worden, doch ihre Lektorin war so begeistert von diesem Stoff, dass sie die Autorin überredete, ein Buch daraus zu formen. Und darüber bin ich ehrlich gesagt sehr froh, denn es ist Frau Ruile mal wieder gelungen, in ihrer schnörkellosen Erzählweise eine rundherum spannende Geschichte mit farbenfrohen Charakteren zu kreieren, dieses Mal inmitten eines modernen, zeitweise sehr bedrückenden Settings. Das Ende beantwortet zwar nicht alle Fragen, schließt jedoch den Haupterzählstrang zufriedenstellend ab und bietet dennoch ausreichend Potential für ein Wiedersehen mit Ben, Sakar und seinen Freunden – ebenfalls ein Aspekt, der der Autorin wichtig war.

Mein Fazit: Margit Ruile überzeugte mich wieder einmal mit ihrer farbenfrohen Art zu schreiben und entführte mich in eine düstere Zukunft mitten in Berlin – eine Zukunft, die gar nicht so abwegig erscheint. Ich wurde sehr gut unterhalten, blieb aber auch ein wenig nachdenklich zurück. Ein wirklich spannender Zukunftsthriller für junge wie erwachsene Leser gleichermaßen, dem nur ein Funke zum Lieblingsbuch fehlte. Sehr empfehlenswert für alle Fans spannender, dystopischer Jugendbücher!