Rezension

Eine Suche

Ruh -

Ruh
von Şehnaz Dost

Bewertet mit 4 Sternen

Eigentlich heißt "ruh" Seele, aber die Assoziation "Ruhe" passt genauso gut zu diesem Roman. Nicht, weil nichts passiert oder es langweilig wäre, im Gegenteil, Cemals Leben und sein ganzes Inneres sind von Unruhe und Rastlosigkeit geprägt. Trotzdem erfasst einen beim Lesen diese typische Ruhe, die einen in die Geschichte eintauchen und alles rundherum vergessen lässt.

Die ersten 8 Lebensjahre ist Cemal bei seinen Großeltern in einem kleinen Dorf in der Südtürkei aufgewachsen. Dann plötzlich der Umzug nach Deutschland, eine neue Sprache, neue Kultur, seine eigene Familie, die ihm fremd ist. Heute ist Cemal Ende 30 und unterrichtet Deutsch an einer Grundschule, seine kleine Tochter Ekin ist alles für ihn. Er arrangiert sein Leben zwischen ihr und Georg, mit dem er seit einer Weile eine Affäre hat. Doch nun will Georg die nächsten Schritte gehen, und Cemal hat Angst davor, ihn in sein Leben mit Ekin zu lassen. Außerdem träumt er seit kurzem von seiner verstorbenen Urgroßmutter Süveyde, die er nie gekannt hat und die ihm nach und nach die Welt ihrer Jugend zeigt und ihn mitnimmt an all die Orte, die ihm aus seiner eigenen Kindheit noch so vertraut sind. Neben dem manchmal mehr und manchmal weniger unterschwelligen Rassismus sind nun auch die Träume Süveydes Teil von Cemals Alltag, in dem er versucht, endlich einen Weg hinaus aus seiner anerzogenen Sprachlosigkeit zu finden. Die Suche nach seinen Wurzeln und nach Beständigkeit und gleichzeitig die Angst und Unfähigkeit, irgendwo länger zu verharren, sind Dinge, die Cemal umtreiben.

Der Roman reißt mit. Die recht kurzen Kapitel, die dazu verleiten, ständig "nur noch eins!" mehr zu lesen, die Sprache, die Thematik, all das packt und man bekommt kaum mit, in welcher Geschwindigkeit man durch die Seiten fliegt. Cemals Geschichte macht wütend und frustriert, ist aber zugleich von riesiger Verletzlichkeit und Zartheit geprägt. Eine große Leseempfehlung für diesen schönen, feinfühligen Roman!