Rezension

Eine Thematik, die immer aktuell sein wird

Deutsches Haus - Annette Hess

Deutsches Haus
von Annette Hess

Bewertet mit 4 Sternen

Deutschland Anfang der sechziger Jahre: Das Wirtschaftswunder nimmt an Fahrt auf, der Zweite Weltkrieg ist scheinbar längst vergangen. Unter deutschen Weihnachtsbäumen häufen sich wieder die Geschenke und die Weihnachtsgans darf auch nicht fehlen beim Familienessen. So ist es auch bei Familie Bruns in Frankfurt am Main. Edith und Ludwig Bruhns haben sich nach dem Krieg einen Traum erfüllt und wirtschaften nun stolz in ihrer Gastwirtschaft, dem "Deutschen Haus". Die Töchter Annegret und Eva gehen beruflich schon eigene Wege, wohnen aber mit dem jüngeren Bruder Stefan und Familienhund Purzel noch mit den Eltern unter einem Dach. Nach außen geben sie die perfekte deutsche Familie ab. Eva, die jüngere der beiden Töchter, arbeitet als Übersetzerin und fiebert dem Heiratsantrag von Jürgen entgegen. Durch einen Zufall bekommt Eva einen dringenden Auftrag: Sie muss als Übersetzerin für Polnisch in einem Prozess vor Gericht die Aussagen polnischer Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz übersetzten. Dies ist der Anfang vom Ende des Bruhnschen Familienlebens, denn mit jedem neuen Prozesstag geht die junge Eva gereifter nach Hause und am Ende stellt sich für sie nicht nur die Frage der Mitschuld ihrer Eltern an den großen Verbrechen, sondern sie muss sich auch persönlich damit auseinandersetzen, wie die Nachkommen der "Generation Nazideutschland"mit der Schuld der Eltern umgehen können.
Die Autorin Annette Hesse ist bekannt für ihre Drehbücher zu Serien wie "Weissensee" oder Ku'damm 56. Hier hat sie die Vergangenheit der jüngeren deutsche Geschichte erfolgreich lebendig werden lassen. 
Deutsches Haus ist ihr erster Roman und auch hier malt sie ein Bild von Deutschland zu Beginn der sechziger Jahre, das man ihr abnimmt. Ich konnte mich gut in diese Zeit hineinversetzen. Die Figuren des Romans sind glaubhaft gezeichnet und auch die Stimmung die wohl damals geherrscht haben muss, wird fühlbar.
Mit klarer und schnörkelloser Sprache (fast werden die Protagonisten wie unter einem Mikroskop betrachtet) gelingt es Annette Hess einen Roman, der sogar auch eine kleine Liebesgeschichte beinhaltet, zu verfassen, der die großen Fragen der deutschen Nachkriegsgeschichte behandelt: Wer ist Täter, wer ist Opfer, wer Mitläufer im menschenverachtenden System der Nationalsozialisten gewesen? Und wer darf und wer muss richten? 
Eva Bruns steht stellvertretend für eine ganze Gesellschaft, der knapp zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Auschwitz-Prozess nach und nach die Augen geöffnet werden. Nach 1965 sollte wohl niemand mehr behauptet haben können, nichts gewusst zu haben. Erschreckend war für mich, dass es in Deutschland einen Verdrängungsmechanismus gegeben haben muss, der eine Aufarbeitung der Grausamkeiten und der politischen Auswirkungen unmöglich machte. Eva zieht zwar im Buch ihre persönlichen Konsequenzen, wie ein Umgang mit der geerbten Schuld gehen kann weiß aber auch sie nicht. Mich hat "Deutsche Haus" nachdenklich zurückgelassen. Ich würde mir wünschen, dass diese noch Lektüre noch in vielen deutschen Häusern gelesen wird.