Rezension

Eine Tour de Force und ein starker erster Roman von Natasha Brown

Zusammenkunft -

Zusammenkunft
von Natasha Brown

Bewertet mit 4.5 Sternen

Zum Inhalt:
Eine namenlose Ich-Erzählerin, die zu dem einen 1% gehört, hat einen gut bezahlten Job bei einer Bank in London. Sie scheint es geschafft zu haben. Ihr gehört eine nette Wohnung in London, auch sonst ist das clevere Mädchen finanziell versorgt. Ihr Freund stammt aus reichen Verhältnissen, sein Vater ist Politiker. Sie ist zur Feier des 40. Hochzeitstages seiner Eltern auf dem Land eingeladen.
Doch innerlich ist sie leer. Im Büro sitzt sie lange allein auf der Toilette, bis es wieder geht. Von ihrem Boss Lou wird sie belästigt. Der weiße Underdog, der aus einem armen Arbeiterviertel stammt. 
Nach einer Biopsie diagnostiziert eine Ärztin Krebs. Nur wird sie den auch behandeln lassen? Wozu ihr die Ärztin dringend rät.

Meine Meinung:
Zusammenkunft wirft einen mitten hinein in das Leben seiner namenlosen Ich-Erzählerin. Sie hat keinen Namen und auch sonst habe ich wenig über sie erfahren. Ihre Familie kommt aus Jamaika, sie hat eine kleine Schwester. Früher hat sie nahe einem Friedhof gewohnt. Wer nur Bücher mit sympathischer Hautfigur liest, den wird Zusammenkunft enttäuschen. In ihre Ich-Erzählerin kann man sich nicht hineinfühlen. So leicht macht es Natasha Brown nicht. Ihr Buch ist sperrig. Denn meist wird nur in Ausschnitten erzählt. Auch springt sie in der Zeit vor- und zurück. Orientieren muss man sich selbst. So erinnert sie sich plötzlich an ihre Examensvorbereitung. Akribisch ist die gewesen, glänzend schnitt sie dann in den Prüfungen ab. Doch zuvor wurde sie fast auf der Straße überfahren. Nur das energische Eingreifen einer Frau, die sie auf die Verkehrsinsel zog und am Arm aus ihrer Trance rüttelte, rettete sie.
Ich finde das schmerzhaft, wie sie sich und ihr Leben sieht. Erst betrachtet sie sich von außen, aus der Distanz. Als passierte ihr Leben einem anderem. Sie spaltet sich ab, um sich zu schützen. Meist will sie unsichtbar, unbemerkbar sein. Bis sie zu Luft wird. Dem wirkt sie mit minutiöser Planung entgegen. Mit unstrukturierten Zeit kann sie nichts anfangen.
An diesem Buch mag ich die genauen Beobachtungen. So fand ich die Vorträge der Hauptfigur vor Schülerinnen stark, die sie über ihren Job belügen muss. Auch ist Zusammenkunft voll starker Bilder für Alltagsrassismus. So muss die Ich-Erzählerin trotz Business Class Ticket den normalen Check-In nehmen. Sie ahnt das schon, beeilt sich, wird dennoch abgefangen und aufgehalten.

Mein Fazit:
Zusammenkunft ist erstaunlich anders. Natasha Brown hat ihre eigene Art zu schreiben. Sie findet starke Bilder für Diskriminierung und Belästigung. So wie in Abbildungen. Einzelne Abbildungen haben bei mir das Kopfkino anspringen lassen. Und ab und an ist dann sogar die Realität plakativer als die Fiktion. Wenn Natasha Brown den Twitter Account des Finanzministeriums ihrer Majestät zitiert.
Der Ich-Erzählerin ist man so nah. Ihren Gedanken, ihrem Anpassungsdruck, der Erniedrigung, die sie leidet. Doch blieb sie mir fremd. Dabei erzählt sie in vereinzelten Szenen so intim. Die fügten sich nur nicht zu einem Ganzen. So ließ mich Zusammenkunft gespalten zurück. Eine Geschichte, die polarisiert, reizt, vor den Kopf stößt. So wie ihre Erzählerin.
Zusammenkunft hat einen starken Schluss. Unerwartet, aber stark. Und doch zu plötzlich. So blieben viele Fragen offen: Wie gehen ihre Schwestern und ihr Freund mit ihrer Krebs Erkrankung um? Ich ahne, dass die Geschichte sich zu einem Ganzen fügen kann, wenn Natasha Brown nicht nur auf 113 Seiten geschrieben hätte. Aber so leicht macht sie es einem nicht.