Rezension

Eine Tragödie, die gut erzählt wird

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Amoklauf ist so ziemlich das Schlimmste, was an einer Schule passieren kann. Doch haben wir uns einmal gefragt, wie es denjenigen danach geht, die das überlebt haben? Keiner redet über diese Personen, nur über die Opfer und den Täter. Was machen die Leute, die das zu verarbeiten haben? Ist das überhaupt möglich, so etwas aus dem Gedächtnis herauszulöschen? Die Autorin Anna Seidl, die das Buch bereits mit 16 Jahren (!) geschrieben hat, beschreibt genau so ein Szenario einer Überlebenden, die ihren Freund dabei verloren hat.

Miriam hätte beinahe verschlafen – aber nur beinahe, da ihr Freund ihr eine SMS gesendet hatte, dass Montag ist. Kurz nachdem es zur Pause geläutet hat in ihrer Schule, bricht das Chaos los. Sie und ihre beste Freundin hören Schüsse und verschwinden auf die Jungentoilette. Sie haben Glück und überleben die Tragödie – Miriams Freund Tobi aber leider nicht. Miriam fragt sich derweil, ob das Leben ohne Tobi und mit den ganzen Alpträumen überhaupt noch einen Sinn hat. Wer war Schuld an der Katastrophe?

Die Autorin beschreibt am Anfang gar keine große Einführung, man ist direkt mitten im Geschehen – und das so, dass man sich kaum losreissen mag. So traurig das Thema auch ist, so fesselnd ist der Schreibstil der Autorin Anna Seidl.

Man könnte die Protagonistin jetzt als gefühlskalt hinstellen, aber seien wir mal ehrlich – würden wir in erster Linie nicht auch erst an uns selbst denken, wenn unser Leben in Gefahr ist? Alle sagen immer, sie würden den Opfern helfen, keine Frage. Was aber, wenn sie nicht darüber reden sondern wirklich selbst einmal in solch einer Situation sind? Meiner Meinung nach, wird man sich da keine große Gedanken um alles andere machen, sondern die Angst um das eigene Überleben siegt. Gesagt sind Dinge immer leicht.

Miriam verfällt nach dieser Tragödie in eine apathische Stimmung und ihr ist alles egal, es entsteht eine große Gleichgültigkeit. Man kann es ihr nicht ganz verdenken, denn um so etwas zu verarbeiten, benötigt es wohl große Kraft. Wenn sie Schmerz verspürt, hält sie das „am Leben“. Man merkt sofort, dass sie sich große Schuldgefühle macht – ist das eine normale Wendung nach so einem Erlebnis oder individuell? Vermutlich hat so etwas auch mit dem eigenen Charakter zu tun, spurlos geht so etwas aber mit Sicherheit an keinem vorüber.

Der Roman macht deutlich, wie schrecklich so etwas ist und lässt einen darüber nachdenken. Wenn einem selber so etwas noch nie passiert ist, macht man sich kaum groß Gedanken darüber. Klar, man liest darüber und ist schockiert, irgendwann verschwindet das aber wieder aus dem Gedächtnis. Ganz anders bei den Betroffenen – wie gehen diese damit um? Das Buch regt zum Nachdenken in diese Richtung an und versetzt einem ganz neue Denkanstöße. Man ist sich gleich noch einmals bewusst, wie schnell sich alles schlagartig ändern kann, von einer Minute auf die andere.

Das Buch an sich ist leicht zu lesen, es ist aber keineswegs eine leichte Lektüre. Sie reisst mit, regt einen zum Nachdenken an und von den mitfühlenden Gedanken ganz zu schweigen. Beim Lesen kommt man sich fast vor, als wäre man selbst mittendrin.

Es geht hier nicht um den Amoklauf an sich, dieser ist schnell „abgehandelt“, gleich am Anfang. Vielmehr geht es hierum, wie die zurückgebliebenen Opfer bzw. Überlebenden damit umgehen, wie sie weiterleben. Es geht um die Schuldgefühle gegenüber dem Täter, was er gemacht hat und ob man es verhindern hätte können. Besonders auf die Gedanken der Protagonistin wird hier eingegangen, denn auch sie war nicht nett zum Täter. Man sieht ihn in einem anderem Licht, er tut selbst dem Leser leid. Er hat vieles durchmachen müssen, viele Gemeinheiten – was einmal gesagt wurde, kann man nicht zurücknehmen und brennt sich bei dem Betroffenen ein. Wie man in den Medien erkennen kann, sehen viele hier keinen Ausweg mehr, außer sich das Leben zu nehmen. Wie in mittlerweile vielen Fällen, nehmen sie hier gleich noch andere mit in den Tod, zahlen ihnen die Gemeinheiten heim.

Das ganze Buch über war mir persönlich die Protagonistin nicht ganz so sympathisch. Klar, sie ist ein normaler Teenager, die von einem Tag in den nächsten Leben und sich nicht so viel Gedanken um das Gesagte und Getane machen. Dennoch hat sie einen Charakterzug, der mir nicht so gut gefällt – trotzdem tut sie einem leid und man bewundert sie doch sehr für ihre Stärke, die hinter der eigentlichen Schwäche liegt. Sie wird durch die ganze Tat reifer und handelt überlegter, macht sich Gedanken, wie sie sich ändern und auch anderes ändern kann.

Durch sie beobachtet der Leser, durch sie erhält er Einblick in eine graue, kalte Welt – in der nichts mehr so ist, wie es zuvor war. Wie würden wir selber damit leben? Würden wir auch ein Leben lang mit Schuldgefühlen herumrennen und uns fragen, wie man das hätte verhindern können? Kann man so etwas überhaupt? Meiner Meinung nach nicht, die Dinge gehen ihren Lauf. Man kann bewusster mit Dingen umgehen und vorher überlegen, was man sagt und vor allem wie man es sagt – einen kleinen Einfluss hat man hierauf dann doch.

Die Autorin hat zwischendurch immer wieder Rückblenden in glücklichere Zeiten der Protagonistin eingebaut. Hier merkt man deutlich, wie jung diese doch erst ist. Es zeig ein ganz normales Leben einer Teenagerin, welches durch das Ereignis total aus den Fugen geraten ist. Was mich etwas verwirrt hat, waren die Eltern der Protagonistin bzw. wie sie diese genannt hat. Der Roman spielt weder in Amerika noch sind die Charaktere oder die Autorin Amerikaner, und doch nennt die Protagonistin ihre Eltern Mom und Dad. Stört aber nicht!

Am Ende lässt das Geschriebene einen nachdenklich, betroffen und mitfühlend zurück. Es ist wirklich sehr imponierend, was die nun heute 18jährige Autorin mit 16 Jahren auf die Beine gestellt hat – ein großes Lob an ihr schriftstellerisches Können an dieser Stelle!

Wer also gern etwas nachdenkliches, tiefgründiges mit aktuellem Thema liest und sich nicht vom Thema Amoklauf abschrecken lässt, ist hier an der richtigen Stelle. Aber vorsichtig – es könnten einige Tränen kullern!