Rezension

Eine unbequeme Pilgerreise

Äquator - Antonin Varenne

Äquator
von Antonin Varenne

Bewertet mit 3 Sternen

»Solange man lebt, hat man ein Recht auf seine Träume. Selbst wenn sie nach einer Weile in Reue enden.«

Nebraska 1871 – Pete Ferguson ist kein Träumer, vielmehr sehnt er sich nach Läuterung und Seelenfrieden. Er will vergessen, hinter sich lassen. Und so flieht er vor seiner Vergangenheit … vor Selbstmord, Mord und Schuld. Auf seinem Weg verdingt er sich als Büffeljäger, abends am Lagerfeuer erzählt man sich Geschichten vom Äquator und Pete beschließt, dort sein Heil zu suchen. Doch seine Reise von Mexiko über Guatemala nach Guyana und Brasilien ist beschwerlich, Pete gerät immer wieder in Konflikte. Gewalt und Tod begleiten ihn hartnäckig und seine Vergangenheit klammert sich an ihn wie ein Ertrinkender.

»Äquator« (OT: Équateur) ist ein ungewöhnliches Buch mit wunderschöner Covergestaltung, das mich beim Lesen auf die unterschiedlichste Art und Weise berührt, verwirrt und auch verärgert hat. Antonin Varenne setzt so einiges voraus, schreibt stilsicher und metaphorisch und so ist dieser Roman definitiv keine leichte Lektüre für zwischendurch. Ganz wichtig zu wissen (und leider ein Manko bei der Kennzeichnung) ist, dass es bereits ein Buch gibt, welches sich mit Petes Vorgeschichte auseinandersetzt. Der Zugang zu »Äquator« fällt sicher leichter, wenn man »Die sieben Leben des Arthur Bowman« gelesen hat.

Ich persönlich mag es sehr mit Büchern zu »arbeiten« – heißt, nicht alles auf dem Präsentierteller serviert zu bekommen, sondern mir zwischen den Zeilen die Geschichte hinter der Geschichte zu erlesen. Besonders die authentische und nachvollziehbare Interaktion der Figuren ist mir dabei wichtig. Und genau das ist hier die Krux. Vieles erschließt sich einem nicht sofort und leider auch nicht nach mehrmaligem Lesen. Man hat oft das Gefühl, wichtiges Vorwissen nicht zu haben. Zwar klärt sich manches im Nachhinein noch aber es ist doch recht schwer, sich so richtig fallenlassen, die Lektüre auf diese Art vollkommen genießen zu können.

Pete selbst ist ein überaus komplexer und interessanter Charakter, den man wohl niemals komplett durchdringen kann. Er ist weder sympathisch noch das Gegenteil, in Wahrheit ist er eine gebrochene und zerstörte Seele, mit der man Mitleid hat. Andererseits ist er aber auch ein unverbesserlicher Sturkopf, der sich durch seine Vehemenz (und durch seinen Hang seinen Seelenschmerz in Alkohol zu ertränken) immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich ihn mag oder nicht, ihn verstehe oder lieber ohrfeigen möchte.

Es gibt in diesem teilweise wunderbar atmosphärischen Roman einen besonders schönen Abschnitt, der mich sehr berührt und beeindruckt hat. Pete erzählt einer ihm nahestehenden Person seine »Lebensgeschichte« in Form eines Ganzkörpertattoos. Er öffnet sich dabei so vollständig, zeigt sich wortwörtlich nackt und verletzlich, dass es beinahe schmerzt.

Und dann gibt es da die vielen Schwierigkeiten, in die sich Pete immer wieder sehenden Auges manövriert. Und auch wenn klar ist, warum er das tut, so war mir das oft einfach zu viel. Viele historische Ereignisse, die zunächst breit ausgetreten werden, um dann im Verlauf doch recht schnell abgehandelt werden. Hier hat man leider oft den Eindruck, der Autor wolle unbedingt äußere Unwegsamkeiten von Bedeutung, die auf Pete unmittelbar wirken sollen, mit einbringen. Für seine innere Pilgerreise sind diese Ereignisse meiner Meinung nach aber nicht immer von Bedeutung und hätten wirklich nur angerissen oder generell reduziert werden können.

Trotz einiger Schwächen ist »Äquator« insgesamt eine besondere Geschichte, die während und nach dem Lesen stark beschäftigt und zum Nachdenken anregt. Ich werde vielleicht irgendwann noch »Die sieben Leben des Arthur Bowman« lesen, denn Varennes Erzählkunst hat mich durchaus beeindruckt und gefesselt.