Rezension

Eine ungewöhnliche Ehe

Zwischen den Meeren
von Sarah Moss

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zwischen den Meeren ist eine berührende Geschichte, die sich dem Leser aber nicht einfach erschließt, was vielleicht auch an der Distanz zu den zwei Hauptfiguren liegt.
Alathea hat als eine der ersten Frauen einen medizinischen Doktorgrad erworben, das macht sie in den Augen der Gesellschaft aber eher verdächtig. Aufwachsen ist sie in einer kalten, lieblosen Atmosphäre, die Mutter ist eine religiöse Eiferin, die Selbstkasteiung zum Lebensprinzip erhoben hat. So waren Wärme und Nahrung für Ally ihr Leben lang Mangel, von Liebe ganz zu schweigen.
Wir lernen sie als Ehefrau von Tom Cavendish kennen, der als Ingenieur seinen Weg machen will, der führt ihn dann auch kurz nach der Eheschließung für viele Monate nach Japan. Nach seiner Rückkehr ist die Fremdheit zwischen dem Ehepaar augenscheinlich, es scheint nicht möglich an die kurze Zeit des Eheglücks anzuknüpfen, zu sehr haben sich beide in verschiedene Richtungen entwickelt.
Die Kapitel wechseln sich ab, wir sehen Tom eine neue Kultur erfahren und mit allen Sinnen erleben. Er taucht in die fremde Welt Japan ein, unsicher anfangs, aber dann immer interessierter, er verlängert seinen Aufenthalt und Cornwall und seine Frau ist in weite Ferne gerückt.
Ally dagegen scheint in ihrer ersten unbezahlten Anstellung als Irrenärztin an den Umständen scheitern. Sie kämpft gegen die Vorurteile, die ihr entgegen gebracht werden, genauso, wie die lieblose und demütigende Behandlung der Insassen. Das kalte und feuchte Cottage, das Tom für sie gemietet hat, bietet keine Zuflucht. Die Einsamkeit, die Unwirtlichkeit der winterlichen Landschaft machen ihr immer mehr zu schaffen. Die Unterschiede zwischen den Beiden treten schmerzhaft zu Tage. Diese Wechsel tauchten mich als Leserin in ein Gefühlschaos, hier das Elend einer viktorianischen Anstalt, dort die schöne Welt der japanischen Kultur. Für beide Seiten findet die Autorin wunderbare stimmige Bilder und gelungene Beschreibungen.
Überhaupt ist die Sprache das tragende Element dieses Buches. Fein, zurückgenommen und doch nuancenreich hat sie mir aufmerksames Lesen abgefordert. Das war ein Lesegenuss, auch der Wechsel der Perspektiven ist sprachlich hervorragend ausgearbeitet.
Großartig geschildert finde ich die Gegensätze – hier das viktorianische England mit all seiner sozialen Ungerechtigkeit und der großen Fortschrittsgläubigkeit – dort die feinsinnige, fremde Kultur, die sich nur sehr langsam nach außen öffnet.

Während des Lesens ist mir klar geworden, dass es ein Vorgängerbuch gab. Ich hatte öfters den Eindruck, dass mir Wissen aus diesem Buch fehlt, um die Beziehung zwischen Ally und Tom restlos zu verstehen. Ich habe oft das Gefühl gehabt, zwischen den Beiden ist das Meer immer noch da, selbst als Tom zurück ist. Deshalb fand ich den Titel auch besonders gut gewählt.

Außerdem rundet der wunderschön konzipierte Einband des Buches den Eindruck ab. Die Kirschblüten auf dem Schutzumschlag zieren in Negativdruck auch den Bucheinband. Eine sehr gelungene Gestaltung für ein empfehlenswertes Buch.