Rezension

...eine unglaubliche Geschichte

Der Poet der kleinen Dinge - Marie-Sabine Roger

Der Poet der kleinen Dinge
von Marie-Sabine Roger

"Ich glaube, in den Geburtskliniken liegen ausschließlich Prinzessinnen und Märchenprinzen in den kleinen Plastikbetten. Kein einziges Neugeborenes, das entmutigt, enttäuscht, traurig oder blasiert wäre. Kein einziges kommt auf die Welt und sagt sich: Später gehe ich mal für einen Hungerlohn in der Fabrik malochen. Ich werde ein Scheißleben haben und das wird super-duper. Juhu. Warum ich hier bin, jetzt, in diesem Moment, ist sogar mir selbst ein Rätsel. Aber da ich an Schicksal glaube, sage ich mir, dass es irgendwo einen großen Plan geben muss, hoch über meinem Kopf. Dass es für das alles einen Grund gibt." Zitat: Cedric (Seite 22)

Ein kurzes Stück aus dem Leben dreier verkrüppelter Menschen. Alex - gefühlsmäßig verkrüppelt, Cedric - seelisch und Gerard - körperlich.
Die Autorin schreibt aus zwei verschiedenen Perspektiven und lässt abwechseln Alex und Cedric zu Wort kommen.

"An dem Tag, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, habe ich gedacht, so wie er aussieht, muss er den IQ einer Kaulquappe haben. Aber das stimmt nicht. Gérard ist intelligent. Pech für ihn. Aber er hat trotz allem Spaß und liebt das Leben. Deshalb beschämt er uns." Alex (S. 193 ff.)

Alex, die bubenhafte 30jährige, die es nie lang an einem Ort hält, aus Angst sich zu binden. Sie mietet sich bei Bernard - Gerards Bruder - und Marlene ein. Arbeiten wird sie auf der Hühnerfarm, bis man sie dort nicht mehr als Zeitarbeiterin will.
Aber es passiert etwas, dass sie nicht geplant hat - sie baut eine Beziehung zu Gerard auf.
Und dann lernt sie zudem noch Cedric und seinen besten Freund Oliver, den Zackenbarsch kennen.
Cedric ist gerade von seiner Freundin Lola verlassen worden. Sein Leben scheint mit 28 Jahren schon perspektivlos, keine Arbeit gefällt ihm und er zieht zurück zu seinen Eltern.
Statt sich eine Arbeit zu suchen, sitzt er mit dem Zackenbarsch am Kanal und vergeudet seine Zeit. Deshalb gibt es Stress mit seinen Eltern.

"Seit achtundzwanzig Jahren träume ich Tag für Tag davon, hier abzuhauen, aber es ist wie mit dem Rauchen: Morgen höre ich auf, morgen gehe ich weg. Morgen fange ich an zu leben. immer morgen, morgen, nur nicht heute." Cedric (Seite 152)

Es ist eine unglaubliche Geschichte, die dennoch sehr plausibel klingt. Und der einzig Glückliche zwischen diesen seelisch und gefühlsmäßig verkrüppelten Charakteren, scheint Gerard zu sein.
Die Autorin Marie-Sabine Roger hat komplizierte Charaktere erschaffen, dennoch ist jeder auf seine Art liebenswert und sympathisch.
Die Autorin rührt zu Herzen ohne dabei kitschig oder polemisch zu sein und hat einen fabelhaften Roman voller kleiner versteckter Weisheiten geschrieben. Das 239seitige Buch strotzt vor guten und präzisen Sätzen, so dass man sich jeden Absatz herausschreiben und in die Zitatsammlung aufnehmen möchte. Ein Buch, das aufmerksam macht auf die wirklich wesentlichen Dinge in unserem Leben.