Rezension

Eine unvollendete Geschichte

Der Zopf meiner Großmutter - Alina Bronsky

Der Zopf meiner Großmutter
von Alina Bronsky

Bewertet mit 3 Sternen

Das Buch mit seinen knapp über 200 Seiten war sehr schnell gelesen. Alina Bronsky schrieb eine Geschichte, die zwischen Komödie und Tragödie schwankt, eine Geschichte, die das Leben schreibt, allerdings oft mit starker Übertreibung und bitterbösem Humor.
Aus der Sicht des heranwachsenden Max wird das diffizile Beziehungsgeflecht zwischen drei Erwachsenen erzählt.

Als russische Kontingentflüchtlinge wohnen die Großeltern und Max im Wohnheim, im ehemaligen Hotel „Zur Sonne“. Griesgrämig und mit üblen Schimpfworten bedenkt Margo ihren Mann Tschingis und den kleinen, zu Beginn 6jährigen Jungen. Mäxchen ist wahlweise u.a. ein „Idiot“, ein „Schrumpfkopf“, der kleine „Krüppel“ und der Großvater die „asiatische Fresse“. Max bekommt von ihr, weil er angeblich schwächlich, kränklich und unterentwickelt ist, stets pürierte, ungesalzene Pampe vorgesetzt. Sie kontrolliert alles und jeden, desinfiziert, läßt ständig Hände waschen, entwickelt angeblich aus Fürsorge für den Enkel hypochondrische Züge. Was hinter der Fassade dieser verschrobenen, schrägen Person vorgeht, läßt sich schwer ausmachen. Auf alle Fälle liebt Max trotz allem seine Großmutter und erträgt ihre Marotten genau wie der Großvater mit einer stoischen Ruhe.

Der Großmutter fehlt die Liebenswürdigkeit. Sie ist ein anstrengender, total überdrehter Charakter, die irgendwie in ihrem eigenen Kosmos lebt. Dass der Enkel ihre „Torturen“ übersteht, statt dessen noch eine gewisse charakterliche Stärke entwickelt, grenzt an Wunder. Er ist so helle, dass er weit vor seiner Großmutter mitbekommt, dass sich zwischen dem Großvater und der um einige Jahre jüngeren Nachbarin zärtliche Gefühle entwickelten. Sie bemerkt es erst als der Miniatur - Tschingis ihr aus dem Kinderwagen entgegenblickt. Ihre Reaktion auf die veränderten Familiensituationen ist mehr als überraschend und für mich nicht nachvollziehbar gewesen.
Die Geschichte strotzt vor skurillen Momenten, die ich oft als überspitzt empfand, auch weil zu wenig Hintergrundinfos vermittelt werden. Ich bin ganz gut im zwischen den Zeilen lesen und mir muss auch nicht jedes Detail erklärt werden; doch es wurde mir leider hier zu viel weggelassen, was zum besseren Verständnis vielleicht notwendig gewesen wäre. Die vielen Andeutungen waren mir zu vage, viele meiner Fragen blieben leider unbeantwortet.

Die Lektüre hat mich erreicht, weil die Geschichte in einem lebhaften, mitreißenden Schreibstil verfaßt wurde. Leider konnte sie mich nicht vollständig überzeugen, da durch die robuste, dominante Großmutter die anderen Personen zu Rand- bzw. Nebenfiguren degradiert wurden. Die Sichtweise des Großvaters hätte mich interessiert. Zum Ende der Geschichte mit dem langsamen Loslösen von Max aus der Patchworkfamilie kommt etwas Licht ins Dunkel. Für das Verhalten der Großmutter wagte ich, als dann der Zopf fiel (ein Bild mit hohem Symbolcharakter !), zarte Erklärungsversuche.

„Der Zopf meiner Großmutter“ scheint mir nicht zu Ende erzählt. Es ist eine unvollendete, fragmentarische Geschichte. Ich schwanke zwischen Bewunderung und Enttäuschung.

Trotzdem möchte ich meine Empfehlung aussprechen und bewerte mit drei von fünf Sternen!