Rezension

Eine wahrhaft außergewöhnliche Liebesgeschichte!

Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß - Hiromi Kawakami, Jiro Taniguchi

Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß
von Hiromi Kawakami Jiro Taniguchi

Ungleiche Liebespaare – von ihnen finden sich in unseren Bücherregalen etliche. Ob Romeo & Julia, Elisabeth Bennet & Mr Darcy oder Bella & Edward – ein schier unüberwindbares Hindernis trennt die Liebenden, doch bereits bei der ersten Begegnung ist das gewisse Etwas zu spüren, das beide miteinander verbindet und gegenseitig anzieht. Unmöglich ist es jedoch, eine so außergewöhnliche Liebesgeschichte wie die zwischen Tsukiko und ihrem alten Lehrer mit bekannten Erzählmustern aus Liebesromanen erklären zu wollen. Denn die Schilderung ihrer allmählichen Annäherung vor dem Hintergrund japanischer Traditionen, ist so ganz anders, so viel leichtfüßiger und trotzdem intensiver, als viele Liebesgeschichten, die ich bisher gelesen habe.

Zwei Figuren stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Tsukiko und ihr Lehrer, den sie seit ihrem ersten Treffen Sensei nennt. Nur eine weitere Figur könnte man wohlwollend als Nebenfigur bezeichnen, diese ist jedoch für die Fortführung der Handlung wenig bedeutend. Über 440 Seiten lauschen wir also fast ausschließlich Gesprächen zwischen Tsukiko und dem Sensei, die sich meistens in ihrem Stammlokal oder anderen Kneipen aufhalten und sich kulinarische Köstlichkeiten genehmigen. Tsukiko ist eine Figur, die anfänglich nur schwer zu greifen ist. Obwohl wir die Geschehnisse aus ihrer Perspektive geschildert bekommen (ihre Gedanken werden neben den Dialogen in den Panels verschriftlicht), habe ich etwas länger benötigt, um sie wirklich sympathisch zu finden. Tsukiko ist sehr still, scheint sich hinter einer melancholischen Fassade zurückgezogen zu haben und nur der Sensei ist in der Lage, ihr Gefühlsregungen, die sich auch auf ihrem Gesicht abzeichnen, zu entlocken. Mit dem Fortschreiten der Handlung fiel es mir dann leichter, ihren Charakter zu verstehen und mich in ihre Figur hineinzufühlen.

In unserer Stammkneipe saßen wir oft nebeneinander und tranken. So trafen wir uns eben, der Sensei und ich. Mit „treffen“ meine ich nicht, dass wir uns verabredeten, wir waren einfach zufällig am selben Ort. (S. 38-39)

Der Sensei ist ein Mann von Stand und vollkommen verankert in den japanischen Traditionen. Deshalb hält er Distanz zu Tsukiko und lässt sie nur ganz allmählich näher an sich heran. Auch der Sensei war mir zu Beginn der Geschichte ein Rätsel, denn wie ich oben schon erwähnt habe, hat man normalerweise als erfahrener Leser schon bei der ersten Begegnung zweier Personen ein Gespür dafür, ob sie die Liebesgeschichte beherrschen werden. Beim Sensei war ich mir dessen nicht so sicher, nicht nur der hohe Altersunterschied, auch sein traditionelles Verhalten (z.B. will der Sensei nicht, dass Tsukiko ihm etwas zu Trinken nachschenkt) schien so wenig zu einer aufkeimenden Liebesgeschichte zu passen. Doch genau das fand ich letztlich so grandios an dieser Geschichte: Auch durch die mir sehr fremde japanische Kultur hat die Geschichte ständig mit meinen Erwartungen gebrochen und mir die Figuren dafür umso näher gebracht.

Die größte Hitze des Tages war jetzt vorüber und eine erste, sehr dezente Vorahnung des Abends war zu spüren. (S. 56)

Was viele vielleicht als eintönig und langweilig empfinden könnten, hat mir besonders gut gefallen: Dramaturgisch ist die Handlung nicht sehr abwechslungsreich, von einem Spannungsbogen kann man meiner Meinung nach kaum sprechen. Trotzdem hat die Geschichte auf mich einen unglaublichen Reiz ausgeübt, allein dadurch, dass sie so unaufgeregt und still daherkommt. Es geht um die zarte Annäherung zweier Menschen, die die Liebe schon für sich abgeschrieben hatten. Literarische Gespräche sind dabei ebenso bedeutsam, wie die sinnliche Stimulation der Genüsse. Für mich war die Geschichte genau aus dem Grund so unheimlich bereichernd und hat meinen Horitzont im Bezug auf japanische Traditionen und Kultur sehr erweitert.

Er war mir fremd, er war alt, ein Lehrer aus meiner weit zurückliegenden Oberschulzeit. Anfangs war der Sensei für mich sehr weit weg gewesen. Aber irgendwann begann ich zu spüren, dass der Sensei eine gewisse Wärme ausstrahlte, wenn ich mich in seiner Nähe befand. (S. 278)

In einem dem Buch anhängendem Interview zwischem Autor und Zeichner, liest man heraus, dass Hiromi Kawakami restlos begeistert ist über die Comic-Umsetzung seines Romans und ich kann mich dem nur anschließen. Jiro Taniguchi war mit bisher als Zeichner unbekannt, doch seine klären Linien und der unverkennbare Zeichenstil vor allem in landschaftlichen Szenerien haben mich sehr beeindruckt. Außerdem fand ich es angenehm, einen japanischen Comic mit klaren Panelrahmungen zu lesen.

Sprachlich hat sich Jiro Taniguchi sehr eng an der Romanvorlage gehalten, das bedeutet, die Dialoge sind in gehobener bis literarischer Sprache verfasst. Trotzdem sind sie sehr eingängig und verständlich.

Fazit & Bewertung

Der Himmel ist Blau, die Erde ist Weiß von Hiromi Kawakami und Jiro Taniguchi ist eine wunderschöne Literaturadaption, perfekt geeignet für Liebhaber japanischer Traditionen und unaufgeregten, dafür nachhaltigen Geschichten. Mich hat die Geschichte von Tsukiko und ihrem alten Lehrer positiv überrascht, denn es handelt sich wahrhaftig um eine sehr außergewöhnliche Liebesgeschichte, die mich mit ihrer intensiven Erzählweise in ihren Bann gezogen hat.

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