Rezension

Eine Warnung vor einer unpersönlichen Welt

Der gefährlichste Ort der Welt
von Lindsey Lee Johnson

Bewertet mit 4 Sternen

Lindsey Lee Johnsons Debüt-Roman 'Der gefährlichste Ort der Welt' ist eine Sammlung von Augenblick-Aufnahmen unterschiedlicher Jugendlicher einer Jahrgangsstufe.

Zuerst lernen wir Tristan kennen, durch einen Aufsatz, den er über sein Heimatstädtchen Mill Valley geschrieben hat und der mit einem ironisch bissigen Unterton offenbart, dass dort die Reichen und Schönen leben, die 'keinerlei' Probleme kennen. Tristan ist offensichtlich ein wenig anders als die anderen und als er seiner Mitschülerin Calista in einem Brief seine Liebe erklärt, ist das einfach unerhöhrt! Es passt nicht in die oberflächliche Scheinwelt von Mill Valley. Tristan bekommt seinen Misstritt bald öffentlich auf facebook vorgeworfen und bringt sich kurz darauf um.
Der Leser erfährt dann in etlichen Kapiteln, wie es den Jugendlichen, die an dem Cybermobbing von Tristan beteiligt waren, in ihrer Jugend weiter ergeht. Haben Schulverweise und Hausarreste Einfluss auf die Leben der Heranwachsenden? Machen sie sich Gedanken über ihre Worte und deren Folgen für andere?

Man kann sich denken, dass sich bei den meisten nicht viel ändert. Leistung, Geld, Sex und Drogen sind die vorherrschenden Interessen der Mill Valley Kids - da kommen sie wohl ganz nach ihren Eltern. Der Leser erfährt, dass jedes der Kinder seine eigene (traurige) Geschichte hat und lernt die Motive kennen, die zu dem abgestumpften Verhalten untereinander geführt haben können.

Clever lässt die Autorin am Ende eines jeden Kapitels den Charakter, der als nächstes betrachtet werden soll, in die Geschichte einfließen und schafft somit eine dynamische Erzählweise, die einen den Roman schnell lesen lässt. Ihre Darstellung der Interaktionen der Schüler auf facebook und twitter ist (glaube ich) recht realistisch und verleiht dem Buch Authentizität.

Der Roman erklärt nichts. Er beobachtet nur. Das lässt viel Spielraum für Interpretationen und eigene Erklärungsversuche. Naturgemäß bleiben dadurch auch einige Fragen unbeantwortet und der Leser kann das Buch nicht 'zufriedengestellt' beenden. Das könnte er aber aufgrund der Darstellung sowieso nicht, denn Mill Valley bzw. die betrachtete Jahrgangsstufe gibt es wahrscheinlich in jeder Stadt in stärkerer oder schwächerer Ausprägung. Und das Internet hat wohl Einzug bei jedem vom uns gehalten und wir müssen uns der Konsequenzen bewusst sein: Hemmschwellen sinken und lassen Menschen ungestraft grausam sein. Jemanden in der Öffentlichkeit unter Zeugen anzugreifen und ihm dabei ins Gesicht zu sehen ist tausendmal schwerer, als schnell am Bildschirm einen Kommentar zu tippen oder zu liken. Wollen wir für unsere Kinder diese fortschrittliche Welt wirklich? Ist dieses geteilte Leben (analog und digital) wirklich die goldene Zukunft? Wohin steuern wir und was vermitteln wir unseren Kindern?

Der Roman lässt Erwachsene und Eltern nachdenken, für Schüler könnte er als Lektüre ein Anlass zu einem reflektierteren Umgang mit Social Media sein. Er ist in ansprechend literarischer Form ein Zeitzeugnis unserer armen Gesellschaft.