Rezension

Eine wertvolle Reise

Nachtzug nach Lissabon - Pascal Mercier

Nachtzug nach Lissabon
von Pascal Mercier

Bewertet mit 5 Sternen

Nehmen wir den Zug mit Pascal Mercier (Pseudonym von Peter Bieri) und reisen nach Portugal. Wer sich kein Ticket leisten kann, sollte sich zumindest das Buch oder notfalls den Film leisten.

Sich einfach aus dem Staub machen, alles stehen und liegen lassen, nicht an die Konsequenzen denken und Risiken und Sicherheiten abwiegen, keine Pläne machen...einfach aus dem Leben flüchten, um in ein neues zu starten? Gregorius nimmt den Nachtzug nach Lissabon nicht, um aus seinem gewohnten Leben zu flüchten, was er schon auf der Reise nach Portugal schmerzlich vermisst. Er ist auf der Suche nach einem portugiesischen Schriftsteller und Arzt, einem Poeten und Widerstandskämpfer, jagt einer Geschichte hinterher, die nicht seine ist....aber zu seiner wird.

Mit diesem Roman dem Autoren nicht nur eine mitreissende, spannende Reisegeschichte gelungen, sondern auch eine wertvolle, philosophische Erzählung und somit nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Reise, in die jeder Leser unweigerlich eingesogen wird. Wer während der Lektüre dieses Buches nicht selbst ins Grübeln kommt, mal in melancholischer Stimme ist oder Reiselust verspürt - der ists meiner Meinung nach gefühlslos.

Dies hat natürlich auch zur Konsequenz, dass der Schreibstil gehobener ist. Dabei sind es keine Fremdwörter (trotz etwas Portugiesisch, welches zwar übersetzt wird) oder anderen hochgestochen Vokabular, welches das "normale Volk" nicht versteht - oder zumindest selten. Die Geschichte aus Sicht von Gregorius wird in einem flüssigen, angenehmen Stil erzählt und durch die Briefe und Buchkapitel von Amadeu de Prado ergänzt (die hauptsächlich philosophischer Natur sind).

Die Begegnungen mit diversen Persönlichkeiten, ob Familie, Freunde oder Bekannte aus Prados Leben, die wiederum Bekannte und sogar Freunde von Gregorius werden, sind irgendwie detailreich ohne Details zu nennen beschrieben. Der Autor schafft eine gewaltige Atmosphäre, die dem Leser nicht an der Wortwahl oder dem Schreibstil auffällt, sondern die Atmosphäre ist einfach - ungekünstelt, echt und doch unbewusst.

Der Film konnte diese Atmosphäre sehr gut aufgreifen und ich habe mich genüsslich in den wundervollen Bildern verloren. Zwar muss ich anmerken, dass es einfacher ist, wenn man schon selbst einmal in Lissabon war. Ausserdem war ich schon davor grosser Portugal-/Lissabon-Fan, weswegen ich den Film nur schon deswegen schaute. Die Rollenbesetzungen (u.a. Jeremy Irons als Gregorius, Christopher Lee, Jack Huston, Mélanie Laurent, Martina Gedeck, Bruno Ganz, August Diehl, etc) fand ich sehr passend.

Philosophie zu verfilmen ist jedoch schwierig und so ist es auch hier der Fall, dass nicht alles übertragbar ist. Wer den Film schaut ohne das Buch zu kennen, wird ihn möglicherweise mögen. Wer den Film schaut und das Buch kennt, wird vielleicht beides mögen oder nicht. Aber sicher werden ihm/ihr die Unterschiede auffallen: einige Personen kommen im Film gar nicht vor. Orte wie Coimbra, zu welchen Gregorius reist, oder seine kurze Rückkehr in die Schweiz, nur um wieder nach Lissabon zu fahren - im Film gestrichen! Am meisten enttäsucht hat mich jedoch die Vater-Sohn-Beziehung der Prados, die im Film viel gestörter / feindseliger dargestellt wurde, ohne es zu erklären. Im Buch werden jedoch Feinheiten sichtbar, die mich die Beziehung mit ganz anderen Augen sehen liess. Die Krankheit des Vaters - im Film gestrichen. Die kleine Schwester von Prado - unerwähnt. Gregorius' Begegnung mit Estefânia - im Film ganz anders. Das Filmende und das Buchende - sehr unterschiedlich. Beide Male bleibt es offen, beide Male soll der Leser / Zuschauer sich sein Ende selbst interpretieren. Das gefällt mir hier besonders, obwohl ich sonst weniger ein Liebhaber von Cliffhanger bin. Doch hier passt es einfach. Undenklich hätte der Autor hinter dieser Geschichte einen gezielten Punkt gesetzt! Das Filmende sagt mir zwar etwas mehr zu, vielleicht weil man dort eher eine Art Happy End interpretieren könnte...

 

5 / 5 Sterne

Kommentare

Karithana kommentierte am 05. März 2014 um 18:09

Hallo, ich habe das Buch vor Jahren gelesen und fand es nicht so gut. Es ist aber eins der wenigen Bücher, das ich noch ein zweites mal lesen will. Vielleicht finde ich es mittlerweile ganz gut :-)