Rezension

Einer von Stephen Kings brillantesten Romanen

Sara - Stephen King

Sara
von Stephen King

Bewertet mit 5 Sternen

Der Anfang von "Sara" stellt alles bisher gelesene in den Schatten: Der Ich-Erzähler Mike Noonan, Kings Alter Ego im Buch, berichtet vom Tod seiner Frau - und zwar zutiefst ergreifend, aber ohne tränenrührenden Kitsch, sondern mit einem subtilen Wechsel von Distanz und Emotion: So ein brillanter Romanauftakt ist mir bei keinem anderen zeitgenössischen Schriftsteller bisher begegnet. Und King schafft es, diese erzählerische Brillanz über weite Strecken des Romans hinweg aufrecht zu erhalten; die Liebe zum Detail, die subtil-raffinierte Erzählweise, der vollkommen überzeugende Ich-Erzähler - einfach genial!

Seine größten Momente hat "Sara" in der Schilderung des Alltags, der realen Welt. So zum Beispiel leidet der erfolgreiche Romanzen(!)-Schriftsteller Mike Noonan an Writer's Block, und seine Strategien, damit umzugehen, sind clever, witzig, böse, absurd und total traurig. Hier nutzt King natürlich auch die Gelegenheit, den Literaturbetrieb ordentlich auf die Schippe zu nehmen. Auch Mikes Depressionen und Melancholie nach dem Tod seiner Frau werden mit feinfühlig verhaltenem Gefühl geschildert. Als Mike schließlich die junge Mattie und ihre kleine Tochter kennenlernt, zeigt sich King in der Tat auch als begnadeter Erzähler des komplexen Liebes-Themas. Mike unterstützt Mattie in ihrem Kampf ums Sorgerecht um ihr Kind, und auch hier begeistert der Roman; sowohl der Park Avenue Anwalt John als auch Detektiv George Kennedy sind Highlights. Die Personenzeichnungen von Mikes Nachbarn in Maine sind superklasse geglückt; die Dorforiginale kommen mit ihren drollig-schrägen Spleens genauso gut rüber wie mit ihren gefährlichen und bösen Seiten.

Leider ist Stephen King die Darstellung der übernatürlichen Geisterwelt längst nicht so geglückt wie die der realen Welt. Es ist fast schade, dass er noch Geister in "Sara" reingepackt hat; der Wechsel zwischen Natürlichem und Übernatürlichem ist zwar professionell gestaltet, aber stört trotzdem. Die Geister geben dem Roman eine komplexere Handlung, aber keine größere Tiefe, und diese ganze Geistergeschichte inklusive Rassismus-Thema wirkte auf mich etwas aufgesetzt. "Sara" hat mir mal wieder deutlich gemacht, dass Stephen King wie übrigens auch Peter Straub dann am besten schreiben, wenn sie auf das Übernatürliche verzichten - wie in "Sie", "Stand by me", "Hellfire Club" oder "Mystery". Daher nur 4 Sterne!

PS: Als Hörbuch ist "Sara"/"Bag of Bones" ungekürzt im englischen Original eine Wucht! Stephen King selbst liest die 20 Stunden, und er liest soooo gut! Am Ende gibt's noch ein ausführliches Interview mit ihm, in dem deutlich wird, dass auch er "Bag of Bones" als ein ganz besonderes Buch empfindet - und dass er nichts von gekürzten Hörbüchern hält ;-)