Einer wird gewinnen?
Bewertet mit 4 Sternen
Dr. Lyla Santiago ist kein Fan von Realityshows. Als ihr Freund Nico - ein achtundzwanzigjähriger erfolgloser Schauspieler - sie bittet, mit ihm an „One Perfect Couple“ teilzunehmen - einer Sendung über 5 Paare auf einer indonesischen Insel – willigt die Virologin, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelt, ihm zuliebe ein. Beruflich steckt sie in einer Sackgasse, als Ü30-Wissenschaftlerin kann sie den Traum vom eigenen Labor sowieso „knicken“. Nico hingegen erhofft sich einen Karriereboost vom Format. Als die Briten auf „Ever After Island“ eintreffen, wirkt alles seltsam provisorisch, und der Produzent Baz kann ihnen weder Infos über die Höhe der Siegerprämie noch über den Sender, in welchem die Show ausgestrahlt werden soll, geben.
Bevor die Sache richtig begonnen hat, ist sie auch schon wieder vorbei, weil ein Sturm (erzähltechnisch der klassische Katalysator) die Insel verwüstet. Aus dem Spiel wird bitterer Ernst, als ein Kampf um’s Überleben beginnt...
Vorab: Ein auf den ersten Blick ‚ausgelutschtes‘ Thema wird hier fesselnd aufbereitet – schon ‚Der Herr der Fliegen’ oder ‚Squid Game‘ kreisten um klassische menschliche Konflikte & Instinkte. Homo homini lupus est. Der kammerspielartige Aufbau gehört zu Wares liebsten settings (hier ist ein Vergleich mit englischen Großmeistern – was die Form betrifft – gerechtfertigt). Es gelingt der Schriftstellerin gut, die Ich-Erzählerin als Sympathieträgerin zu etablieren, überhaupt hat Lyla von allen Figuren am meisten Profil.
„One Perfect Couple“ liest sich sehr flüssig. Ab dem Mittelteil konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich habe schon mehrere Publikationen der Autorin, die in der Presse schon mit Agatha Christie verglichen wurde, gelesen. Vielleicht ist „One Perfect Couple“ spannungstechnisch gesehen Wares bisher beste Arbeit. Vom Ende war ich aber enttäuscht. Die Erzählung ist kein klassischer Krimi, es muss meiner Meinung nach nicht groß gerätselt werden, eine spektakuläre Wendung bleibt in meinen Augen aus, obwohl es final einen kleinen plot twist gibt. Erfreulicherweise gibt es in der Handlung keinen Zickenkrieg, Frauenpower lautet das Credo. Weibliche Solidarität wird großgeschrieben.
Die Figuren sind dennoch nicht filigran genug gezeichnet, sodass manche mir auf die Nerven gingen (obwohl das von der Autorin so nicht intendiert war). Auch wenn manche Protagonisten sich entwickeln und nicht statisch bleiben, ist die Charakterisierung meiner Meinung nach zu schwach. Manches war recht plakativ erzählt, stellenweise kann man durchaus von Schwarzweißmalerei sprechen. Da sogar ein real existierender -höchst umstrittener- Influencer namentlich genannt wird, war schnell klar, dass „One Perfect Couple“ eine zeitgeistige Gesellschaftskritik sein will (Stichwort „toxische Maskulinität“). Es geht um Fake News und um die Tatsache (hier lassen die Geisteswissenschaften grüßen), dass das Leben aus (divergierenden) Narrativen besteht, dass die Realität eine Sache der Wahrnehmung ist. Mir persönlich war das dann doch zu flach, insgesamt war mir die Prosa nicht raffiniert genug, und die von Ware zurecht angeprangerten Missstände sind zu ernst, um sie als „Aufhänger“ eines Unterhaltungsromans zu nutzen. Wie so oft präsentiert Ruth Ware eine ausgesprochen vielversprechende Story, die dann aber zum Ende hin schwächelt. Ich dachte über weite Strecken der Lektüre, mit „One Perfect Couple“ endlich das Meisterstück der Britin in Händen zu halten; letztendlich hat sich diese Hoffnung leider nicht erfüllt, da auch nicht alle Handlungsfäden komplett zusammengeführt wurden. War der Thriller spannend? Ja! Konnte er meinen Erwartungen gerecht werden? Nein.