Rezension

Eines der besten historischen Romane der jüngeren deutschen Geschichte

Als wir unsterblich waren - Charlotte Roth

Als wir unsterblich waren
von Charlotte Roth

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Der Roman „Als wir unsterblich waren“ verbindet das wunderbarste Kapitel innerdeutscher Geschichte, der Fall der Mauer mit den Erlebnissen der jungen Paula aus Berlin von 1912 bis 1933.

Paula stammt aus einer eher wohlhabenden Intellektuellenfamilie. Der Vater ist Journalist und legt viel Wert auf Bücher. Paulas älterer Bruder Manfred studiert Philosophie und Paulas größter Wunsch ist es, ebenfalls zu studieren und Rosa Luxemburg nachzueifern, deren Engagement sie zutiefst bewundert. Doch es kommt anders. Der Vater verliert seine gut bezahlte Position bei der Zeitung, so dass er das Schulgeld für Paula nicht mehr aufbringen kann. Er vermittelt Paula eine Stelle bei der Zeitung als Schreibkraft. Paula ist sehr traurig darüber, schickt sich aber in ihr Schicksal. Zusammen mit Manfred trifft sie sich im Sommer täglich im Strandbad Wannsee mit einer Gruppe Jugendlicher, wo sie auch Manfreds besten Freund Clemens kennen lernt. Clemens entstammt einem sehr wohlhabenden Elternhaus, sein Herz schlägt aber für die Arbeiterbewegung. Er wird zusammen mit Manfred Mitglied bei den Sozialdemokraten, wo er sich als begnadeter Redner aber auch durch seine mutigen Taten schnell Respekt verschafft. Paula bewundert Clemens und verliebt sich in ihn.

Der Ausbruch des 1. Weltkriegs ändert alles. Clemens meldet sich zur Front. Manfred, der aufgrund einer Erkrankung an Kinderlähmung nicht eingezogen wird, arbeitet als Journalist und schreibt für eine Zeitung. Paula lernt die Sorgen und Nöte der Arbeiterfrauen kennen. Viele Arbeiter leben in großer Armut und in ihrer Verzweiflung greifen sie zu Alkohol und verprügeln ihre Frauen. Paula richtet Wohnungen ein, wo Frauen mit ihren Kindern Unterschlupf finden.

In einem anderen Erzählstrang lernen wir Alexandra Liebermann kennen. Sie lebt mir ihrer betagten Großmutter ein sehr zurückgezogenes Leben in Ostberlin. Ihre Freundin Meike versucht, sie öfters aus der bedrückenden, kleinen Wohnung heraus zu locken, um unter junge Menschen zu kommen. So auch an diesem Abend. Es ist der 9. November. Aus dem Fernsehen erfahren die jungen Frauen, dass die Grenze geöffnet ist. Meike will sich das nicht entgehen lassen und überredet Alex, mit ihr zum Grenzübergang zu gehen. Unter den Tausenden von Menschen verlieren sich die beiden Freundinnen. Alex, die sich in großen Menschenmassen unwohl fühlt, findet sich alleine wieder in Westberlin. Sie trifft auf Oliver, einen jungen Mann, der ihr hilft und sie in seine Wohnung bringt. Eine Liebe auf den ersten Blick. Alex bleibt einige Tage bei Oliver und ist überwältigt vom Leben im Westen. Als sie mit Oliver zu ihrer Oma zurückkehrt, erleidet diese bei Olivers Anblick einen Zusammenbruch. Tagelang bangt Alex um ihr Leben. Die Oma beginnt von ihrem Leben zu erzählen und füllt damit endlich das Vakuum, das Alex schon lange gequält hat, weil sie nichts von ihrer Familie wusste.

 

Meine Meinung

Mir hat dieser Roman, der einen Bogen spannt vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung, sehr gut gefallen. In diesem Buch habe ich sehr viele Informationen, die ich bis jetzt nur als Einzelsätze in Geschichtsbüchern kannte, auf anschauliche und klare Weise gefunden. Die Arbeiterbewegung, die Entwicklungen innerhalb der SPD, die zur Abspaltung des Spartakusbundes geführt hat, aber auch das Leben unter großer Knappheit hat die Autorin sehr klar und miterlebbar dargestellt. Auch im Zusammenhang mit dem zunehmenden Erfolg der NSDAP ist mir manches erst jetzt so richtig bewusst geworden.

Die Figuren sind sehr interessant angelegt. Sie machen es einem nicht immer leicht, ihre Handlungen und ihre Beweggründe gut zu heißen. Aber man kann dennoch sehr gut mit ihnen mitfühlen, weil sie so widersprüchlich sind, wie richtige Menschen. Die Liebe zwischen Paula und Clemens ist das rote Band, das sich durch das Buch zieht. Es ist auf jeden Fall eine Liebesgeschichte, aber da auch noch viele andere Personen eine wichtige Rolle spielen, ist es für mich eher ein Buch über Freundschaften, die sich über ausgesprochen schwierige Lebensphasen erhalten haben. Auch wenn die Protagonisten Zeiten voller großer Unsicherheit, Angst und Entbehrungen durchleben müssen, gibt es immer wieder versöhnliche Situationen, in denen man sie fast beneidet und die es im tatsächlichen Leben wahrscheinlich überhaupt ermöglicht haben, solche Zeiten einigermaßen gesund an Leib und Seele zu überstehen.

Ich habe dieses Buch innerhalb weniger Tage gelesen und wirklich sehr genossen, obwohl ich nicht der Freund von großen Liebesgeschichten bin. Man darf sich bei diesem Buch nicht davon abschrecken lassen, dass es auf den ersten Blick eher als romantischer Frauenroman erscheint. Das präzise historische Bild, das Charlotte Roth zeichnet und mit so vielen gefühlvollen Menschen bevölkert, erweckt Geschichte zum Leben und wahrt dennoch die nötige Distanz.

 

Von mir eine Leseempfehlung mit 5 Sternen.