Rezension

Einfach bezaubernd...

Das Labyrinth der Wörter - Marie-Sabine Roger

Das Labyrinth der Wörter
von Marie-Sabine Roger

Germain Chazes ist eine Seele von Mensch, nur leider nicht der Schlaueste. Als er im Park Margueritte kennenlernt, wird sein Leben auf den Kopf gestellt. Denn die feinsinnige alte Dame beschließt, ihn für die Welt der Bücher zu gewinnen.

Inhaltsangabe:

Germain Chazes hatte in seinem bisherigen Leben nur selten etwas zu lachen. Sein Vater verließ die Familie noch vor seiner Geburt und auch die Mutter des Franzosen kümmerte sich sehr wenig um ihren einzigen Sprössling. Kaum eine Gelegenheit ließ diese aus um Germain zu zeigen, wie unerwünscht er eigentlich in ihrem Leben ist. Aufgewachsen ohne Liebe und Zuneigung bewältigt der heute Mittvierziger völlig abgestumpft seinen Alltag, in dem er sich mit unterschiedlichen Jobs über Wasser hält und eine vermeintliche Beziehung führt, deren Bedeutung er nicht beim Namen nennen kann. 
Nachdem das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn immer schlechter wird, zieht Germain aus dem gemeinsamen Haus aus und richtet sich in dem verlassenen Wohnwagen ein, der einst einem Exgeliebten seiner Mutter gehörte. In seiner Freizeit schnitzt der 45-jährige leidenschaftlich gerne kleine, filigrane Holzfiguren und baut Gemüse um seinen Wohnwagen herum an, das er nicht nur selbst verspeist, sondern teilweise auch auf dem Wochenmarkt verkauft. Das Blatt soll sich schon bald für den bulligen und viel zu groß gewachsenen Franzosen wenden, als er wieder einmal auf dem Weg in den Stadtpark ist. Dort zählt er regelmäßig die Tauben und gibt ihnen jeweils einen Namen. Eines Tages bemerkt er auf seiner Stammbank eine kleine, ältere Dame die ein unscheinbares Kleid trägt. Margueritte Escoffier, wie sich die zierliche Rentnerin ihm vorstellt, lebt seit knapp zwei Jahren in dem angrenzenden Seniorenheim "Les Peupliers" und besucht täglich den Park um ebenfalls die Anzahl der Tauben zu kontrollieren. Sofort kommen die beiden ins Gespräch. Bei jedem weiteren Treffen gewinnt diese außergewöhnliche Verbindung mehr und mehr an Bedeutung und Tiefe. Die vielen unaufdringlichen Konversationen die unter anderem aus Margueritte's Leidenschaft zu Büchern und vielen weiteren Themen bestehen, sorgen dafür, dass sich Germain irgendwann seiner größten Angst stellen will: Den Wörtern. Der Analphabet lernt nicht nur sich zu artikulieren, sondern er erweitert seinen Wortschatz, lernt das Lesen und entdeckt ebenfalls die Liebe zu guten Büchern und Geschichten. Doch nicht nur dass: Die 95-jährige führt durch ihre reizende und lebenserfahrene Art dem schusseligen Germain vor Augen, wie er zu einem besseren Menschen und Partner wird, ohne dass er sich selbst grundlegend verändern muss. 
Einzig und allein durch die Kraft der Liebe und dem Gefühl des Zuspruchs und Vertrauens begibt sich Germain auf die Suche nach seinem wahren Ich...

Eigene Meinung:

"Das Labyrinth der Wörter" von Marie-Sabine Roger ist eine wundervolle und bewegende Lektüre, die mich bereits ab der ersten Seite in ihren Bann gezogen hat. Im Fokus steht der 45-jährige Germain, der während seiner gesamten Kindheit und Jugend weder Liebe noch Zuneigung oder Geborgenheit von seinen Eltern bzw. Mitmenschen erfahren durfte. So kommt es, dass er niemals gelernt hat diese Gefühle zu spüren oder gar an nahe stehende Personen wie zum Beispiel Anette, seine Freundin, weiterzugeben. Die rüstige und geduldige Rentnerin Margueritte, die mit ihrer besonnenen, ruhigen und unaufdringlichen Art sich in Germains Herz eingeschlichen hat, versucht ihn aus seinem Schneckenhaus zu locken, in dem sie ihm die Liebe zu den Wörtern, Geschichten und Büchern tagtäglich näher bringt und ihn an ihrer Lebenserfahrung teilhaben lässt.
Die Autorin zeigt immer wieder wie ausdrucksstark Sätze, Wörter und Buchstaben sein können, wenn man deren Bedeutung kennt und auch verschiedene sinngleiche Begrifflichkeiten damit assoziieren kann. Besonders verdeutlicht sie dies konkret im Buch, wenn Wörter oder Aussagen kursiv geschrieben werden:
Zitat: Buch S. 43 "Früher war ich fast Analphabet - wer weder lesen noch schreiben kann. Siehe: Unkundiger -, und ich schäme mich nicht dafür." 
Germain Chazes durchlebt durch die Unterstützung der Rentnerin eine unglaubliche Entwicklung. Nicht nur fachlich, in dem er lesen lernt und das Alphabet auswendig kann, sondern auch emotional. Zum ersten Mal spürt er, wie es sich anfühlt von einer Person ernst genommen zu werden. Die Stellen im Buch, in denen er selbst zu dieser Erkenntnis kommt haben mich zutiefst berührt. 
Fazit: Ein charmanter und gefühlvoller Roman der zeigt, dass jeder Mensch der geliebt wird, Liebe zurück geben kann. Das Buch ist ein kleiner Aufruf, dass Menschsein immer noch eine der wichtigsten Aufgaben für uns selbst und unsere Nachkommen ist. 
Meine Bewertung: 5 von 5 Sternen