Rezension

Einfach genial!

Im Hause Longbourn - Jo Baker

Im Hause Longbourn
von Jo Baker

Wer liebt die Geschichte nicht von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“? All die Wirren der Familie Bennet um Elizabeth, Jane, Mr. Bingley und Mr. Darcy? Unvergessen sind auch die großartigen Verfilmungen dieses Stoffs. Doch – hat man sich mal gefragt, wer eigentlich ihr Essen kocht? Wer ihre prachtvollen Kleider wäscht, wer die Kutsche lenkt? Denn hinter jedem Handgriff im Hause Bennet stehen fleißige Helfer. Jede Mahlzeit, die mit den Gästen eingenommen wird, jedes Flechten der Haare geschieht durch helfende, schwer arbeitende Hände. Aber diese Personen treten in „Stolz und Vorurteil“ nicht in den Vordergrund, manche bekommen nicht mal einen Namen.

Warum ich euch das erzähle? Weil Jo Baker diesen Umstand ungerecht fand und den Bediensteten im Hause Longbourn nicht nur einen Namen, sondern gleich eine ganze Persönlichkeit und eine ganze Lebensgeschichte gegeben hat.

Die Haushälterin und Köchin Mrs. Hill, das Dienstmädchen Sarah, die Küchenhilfe Polly, der Hausdiener James und der Butler Mr. Hill sind nämlich keineswegs nur Randgestalten in irgendeiner Geschichte, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre eigenen Sorgen und Freuden haben, und für die die unangekündigten Besuche der hohen Damen und Herren eine große Belastung ist und harte Arbeit bedeutet.

Diese Idee fand ich schon so großartig, dass in der Umsetzung kaum noch etwas falsch gemacht werden konnte. Wie oft hätte ich schon so gerne einmal etwas über eine Nebenfigur erfahren, wie oft hatte ich schon den Gedanken, dass die Nebenfiguren in Büchern viel zu wenig hinterfragt werden. Jo Baker macht eben dies und auch noch in so großartiger Art und Weise, dass ich das Buch sehr schnell durchgelesen habe.

Zugegeben – die ersten 100 Seiten ziehen sich etwas. Sie setzen vor der Handlung von „Stolz und Vorurteil“ ein und beleuchten die Angestellten als Menschen. Nach den 100 Seiten geht dann aber richtig die Post ab, die Ereignisse überschlagen sich und es scheint beinahe so, dass die Bediensteten ihren berühmten Herren ein wenig die Schau stehlen. Denn auch sie kennen die perfekten Liebesdramen, die großen Happy Ends, die kleinen Enttäuschungen, die unendliche Sehnsucht. Und unbemerkt von der Familie Bennet schlagen sie die gleichen Schlachten, haben die gleichen schlaflosen Nächte wie jeder Mensch sie hat, unabhängig von seiner sozialen Schicht.

Im Fokus der Geschichte stehen Sarah und James, um die sich auch eine Liebesgeschichte rankt, aber auch die andern Figuren werden immer wieder in den Mittelpunkt gebracht und durchleben ihre eigenen Erfahrungen.

Hinten auf dem Buch steht übrigens eine Kritik aus dem „O Magazine“, das schreibt: „Wer hier eintaucht, vergisst am Ende sogar, Downton Abbey einzuschalten“. Und lustigerweise habe ich die Serie gerade vor ein paar Tagen begonnen zu schauen und so manches Mal habe ich mich von Sarah und Polly sehr an Anna und Daisy erinnert gefühlt, auch wenn der Roman natürlich in einer ganz anderen Zeit spielt als die Serie.

Aber der Fokus auf die niedere Schicht scheint gerade „in“ zu sein und diese Entwicklung begeistert mich total! Die ganzen Geschichten rund um den Adel sind zwar schön, aber ein anderer Blick auf die Welt ist doch manchmal auch sehr schön.

Alles in allem ein wunderbares Buch, dessen Idee mir vollkommen neu ist und die ich so großartig finde, dass ich immer zu strahlen beginne, wenn ich über dieses Buch rede.

Und falls Jo Baker diese Rezension jemals lesen sollte: Darf man Bestellungen aufgeben für neue Bücher dieser Art? Vielleicht über die Hausangestellten in „Effi Briest“? Oder über die Bediensteten der Familie „Buddenbrooks“? Wie haben sie den Abstieg der Familie erlebt, welche Gespräche haben sie heimlich belauscht, welche Schlüsse haben sie daraus gezogen? Waren sie an den Arbeiteraufständen dieser Zeit beteiligt?

Eine tolle, innovative Art, Literatur erlebbarer, komplexer und lebensnaher zu machen, denn man darf nie vergessen: Auch der unsympathisch wirkende Mensch, der einem in der Straßenbahn gegenübersitzt, hat seine ganz eigene Geschichte, auch wenn er in der eigenen Geschichte immer nur eine kaum bemerkte Randfigur bleiben wird.