Rezension

Einfach mal wirken lassen.

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 5 Sternen

Diese Mischung aus Geschichte und Sachbuch beginnt im Herbst 2015. Jiyoung ist 33 Jahre alt, verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter, als ihr Ehemann bemerkt, dass sie plötzlich in verschiedene Rollen schlüpft. Was er zunächst für einen Scherz seiner Frau hält, bereitet ihm zwar bald Sorgen, doch noch versucht er diese Veränderungen gegenüber seiner Verwandtschaft herunter zu spielen.

Schon dieses erste Kapitel war für mich eine Herausforderung, sei es die knappe Sprache, die ungewohnten Namen (koreanisch), die bruchstückhaften Details aus Jis Lebenslauf, oder aber die Reaktionen ihrer Umwelt auf ihre wechslenden Persönlichkeiten, alles wirkte sehr befremdlich auf mich.

Mit dem harten Schnitt der folgenden Kapitel befasst sich das Buch dann mit Jis Kindheit, Jugend, Ausbildung und Berufsleben. Wir erfahren, wie Ji als zweite Schwester, dann doch noch ein Brüderchen bekam und wie das komplettierte Familienleben sich ab diesem Zeitpunkt gestaltete. Es gibt Details aus dem Leben der Eltern Jis, wie sie heranwuchsen und mit fortschreitendem Alter Jis, kristallisiert sich die Rolle der Frau in Korea immer mehr heraus.

Untermauert mit Fußnoten und Angaben zur Statistik präsentiert uns Frau Cho Einzelheiten, die Ji widerfahren, sei es die permanente Bevorzugung der Jungs in Schule und Beruf, das latente Hinführen der Mädchen zu Selbstlosigkeit und andauerndem Schuldbewusstsein und schließlich die Ausweglosigkeit für ein selbstbestimmtes Leben und freie Entfaltung.

Manche Szenen in dieser Geschichte erinnern vielleicht an das eigene Heranwachsen, was jedoch verstörend wirkt, ist, dass Ji aus einem modernen, hochtechnisierten Land stammt, aus dem sich uns Werbeplakate mit sexy gekleidenten, fröhlich lachenden Mädchen und Jungs eingeprägt haben, bunte Partys mit Karaoke und stolz dreinblickende Stewardessen in Fernsehspots. Ein Land, dass auch seinen Mädchen eine höhere Schulbildung ermöglicht, ihnen dann aber keine Chance auf eine gleichzeitige Mutterschaft und gutbezahlten Job bietet. Ein Land dass mit einer männlichen Überheblichkeit das weibliche Potential in die Suppenküchen verbannt. Pervertiert davon, dass es gerade die Mütter und Großmütter zu sein scheinen, die die Unterdrückung und Fügung der Frauen überwachen und einfordern. Was in manchen Ländern offensichtlich geschieht, ist in Südkorea hinter einer hippen Fassade versteckt und noch immer alten, überkommenen Traditionen verhaftet.

Es ist ein Buch mit wenig sprachlicher Eleganz, wenig Emotionen, aber einprägsamen Bildern von schreiender Ungerechtigkeit, die sprachlos machen, aber nicht machen sollten. Gerade das Schlusskapitel zeigt eindringlich, dass es vielleicht so etwas wie Verständnis für die Rolle der Frauen gibt, den Männern aber der Wille zur Veränderung noch fehlt.

Der Kampf um Emanzipation ist noch lange nicht gewonnen, wir müssen sogar mehr denn je aufpassen, dass er nicht in Rollenbildern von Schönheit, Sanftheit und ergebener Unterwerfung verloren geht. Aber vor allem müssen wir ihn selbts in die Hand nehmen und befördern. Das Buch ist eine starke Stimme in dieser Schlacht.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 02. März 2021 um 20:05

Coole Rezension. Die letzten zwei Absätze sind richtig gut!!!
 

Emswashed kommentierte am 03. März 2021 um 07:36

Danke. *schmatz*